Sportreporter
dann in der kuschelig-romantischen Stimmung und Abgeschlossenheit einer Nacht aufzulösen. »Warum hast du an der Penn State studiert, wenn du nach Bryn Mawr hättest gehen können?« Ich verstehe . »Welches Jahr war das, in dem dein Ex-Mann aus dem Militär ausgeschieden ist?« Hmmm . »Warum ist deine Schwester besser mit deinen Eltern zurechtgekommen als du?« Klingt einleuchtend . (Als ob sich für den, der solche Dinge weiß, irgend etwas ändern würde.)
Das war natürlich der denkbar schlimmste, feigste Zynismus. Nicht die anregenden Spielchen im Bett, an denen sich niemand stören sollte, sondern die Forderung nach totaler Enthüllung, wo ich selber nichts zu enthüllen hatte und an nichts irgendein verantwortungsvolles Interesse haben konnte, außer an der Hoffnung (lachhaft), daß wir »Freunde bleiben« würden, und an der Frage, wie früh ich mich am nächsten Morgen davonschleichen und meinem Geschäft nachgehen oder nach Hause fahren konnte. Es war außerdem eine sentimentale Tour der übelsten Sorte – du empfindest Mitleid mit einer einsam lebenden Frau (das war bei mir fast immer so, auch wenn ich es nicht zugegeben hätte), verwandelst das in Betroffenheit, die Betroffenheit in teilnahmsvolles Interesse, und das Interesse führt dann schließlich zum Sex. Genauso handeln die übelsten Sportreporter, wenn sie einem Boxer, dem gerade der Schädel eingeschlagen worden ist, auf die Pelle rücken und fragen: »Sagen Sie, Mario, was haben Sie von dem Moment, als Ihr Gesicht plötzlich wie eine zerquetschte Tomate aussah, bis zum Zählen des Ringrichters eigentlich gedacht?«
Erst lange nach meinen drei Monaten am Berkshire College – und dem Zusammenleben mit Selma Jassim, die an totaler Enthüllung nicht interessiert war – bekam ich heraus, was ich in Wirklichkeit trieb: Um in mir selber zu sein, versuchte ich, so weit wie möglich in einen anderen Menschen hineinzukommen . Es ist auf der Suche nach romantischer Liebe kein neuer Weg, und er funktioniert auch nicht. Tatsächlich führt er zu einer schrecklichen Verträumtheit und zu der schlimmsten Art von Zerstreutheit und Unerreichbarkeit.
Wie ich hoffen konnte, in eine mir kaum bekannte Elaine, Barb, Sue oder Sharon hineinzukommen, wenn es mir nicht einmal bei X in meinem eigenen Leben gelang, ist eine gute Frage. Doch die Antwort ist klar. Ich lag falsch mit meinen Hoffnungen.
Bert Brisker würde wahrscheinlich über mich sagen, ich sei damals nicht »intellektuell geschmeidig« genug gewesen, denn ich jagte in kurzen, von vornherein begrenzten Zeiträumen einer vollkommenen Illusion nach. Ich hätte, ohne Fragen zu stellen, mit der einfachen elementaren Verzückung glücklich sein sollen, wie eine Frau – jede Frau, die ich mochte – sie vermitteln konnte, und danach hätte ich nach Hause gehen können, um mich – so wie ich das immer getan hatte – des Lebens zu erfreuen. Die Menschen sind allerdings selten, die im Vertrauten wirklich Wunderbares finden können, wenn das Glück erst einmal gegen sie läuft – was bei mir damals der Fall war.
Als ich gegen Ende dieser zwei Jahre von meiner dreimonatigen Lehrtätigkeit zurückkam, hatte ich mit diesen ganzen Weibergeschichten aufgehört. Aber X war mit Paul und Clary zu Hause gewesen und hatte keine Kontakte gepflegt und hatte angefangen, The New Republic, The National Review und China Today zu lesen, was sie vorher nie getan hatte, und schien unnahbar. Ich verfiel sofort in eine Art verträumter Monogamie, womit ich nichts anderes erreichte, als daß X sich – wie sie mir später sagte – albern vorkam, daß sie es so lange mit mir ausgehalten hatte, bis sie unsicher geworden wäre. Ich war jeden Tag zu Hause, aber niemand hatte etwas davon; ich blätterte nur in Katalogen, erzählte nachsichtige Lügen, um die totale Enthüllung zu umgehen, lächelte meinen Kindern zu, fühlte mich merkwürdig, machte jede Woche einen Besuch bei Mrs. Miller, sann ironisch über die große Zahl an Antworten nach, die ich auf fast jede mir gestellte Frage geben konnte, sah Sportsendungen und Johnny im Fernsehen, trug Golfhosen und buntkarierte Hemden von L. L. Bean, fuhr einmal die Woche nach New York rauf und war ein mittelmäßiger, aber sehr engagierter Sportreporter – während in all der Zeit X’ Gesicht ausdruckslos und meine Stimme immer leiser wurde, so leise, daß ich sie selbst kaum noch hörte. Sie war der Überzeugung – zumindest hat sie es später so dargestellt –, daß ich meine
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