Sportreporter
sich wohl sein Flugzeug aus Salt Lake verspätet, und abzuschätzen versucht, ob sie an Bord wohl noch ein warmes Essen oder nur einen Snack servieren werden.
Und schließlich spreche ich, wenn ich zu Vicki Arcenault sage: »Ich liebe dich«, ja nur das Offenkundige aus. Wen interessiert es schon, wenn ich sie nicht in alle Ewigkeit liebe? Oder sie mich? Nichts ist von Dauer. Ich liebe sie jetzt, und ich mache weder mir selbst noch ihr etwas vor. Hat die Wahrheit vielleicht mehr zu bieten?
Um Viertel vor eins bin ich wach. Vicki schläft neben mir, leicht atmend und mit einem leisen Knacken in der Kehle. In dem Zimmer herrscht die dichte, dimensionslose Stimmung, die der empfindet, der im Dunkeln eingeschlafen ist und im Dunkeln wieder aufwacht und über die verbleibenden Stunden bis zum Morgengrauen rätselt: Wie viele werden es noch sein? Wird mich unverhofft die Verzweiflung packen? Wie werde ich wohl die Zeit totschlagen? Ich bin, wie ich schon sagte, gewöhnlich ein so erstklassiger Schläfer, daß mich solche Fragen nicht bedrängen. Ich bin allerdings sicher, daß meine Schwierigkeiten zum Teil mit einer ganz normalen Erregung zu tun haben: Ich bin hier, mit dieser Frau, kann alles tun, wozu ich Lust habe – wie das vertraute Gefühl zu Beginn der Schulferien, nach dem wir uns alle sehnen. Heute nacht wäre eine gute Gelegenheit, allein durch die dunklen Straßen zu wandern, den Mantelkragen hochzuschlagen, ein paar Dinge zu Ende zu denken. Aber ich habe nichts zu Ende zu denken.
Ich schalte den Fernseher ein und lasse den Ton weg, wie so oft, wenn ich allein unterwegs bin und noch ein wenig in einem Spielerverzeichnis blättern oder an meinen Notizen feilen will. Ich liebe das Fernsehen in anderen Städten, die Sicherheit, wenn ich in einem fremden Zimmer den Blick hebe, einen vertrauten Nachrichtensprecher sehe, ihn in seinem vertrauten Nebraska-Akzent reden höre, während er in einem vertraut reizlosen Anzug vor einem nichtssagenden städtischen Hintergrund steht (an die Nachrichten selbst kann ich mich nie erinnern); oder wenn ich einen namenlosen, mich aber vollkommen in Bann schlagenden sportlichen Wettkampf sehe, ausgetragen in einem nichtssagenden Kuppelbau, in der gleichen zitronengelben Beleuchtung und vom gleichen kaum hörbaren Summen begleitet, viele Meilen von allen Orten entfernt, an denen mein Gesicht bekannt sein könnte. Das alles empfinde ich als wohltuend, und ich würde sehr ungern darauf verzichten.
Der Sender, den ich eingeschaltet habe, bringt die Wiederholung eines Basketballspiels, das ich mit großer Freude anschaue. Detroit spielt gegen Seattle. (Erst bei Wiederholungen lernt man, nebenbei bemerkt, ein Spiel in- und auswendig kennen. Sie sind dem eigentlichen Spiel am eigentlichen Spielort weit überlegen, denn dort geht es in der Regel recht langweilig zu, und du vergißt oft, weshalb du überhaupt da bist, und wendest dein Interesse anderen Dingen zu.)
Ich hole Vickis Le Sac-Tasche, mache sie auf, nehme eine ihrer Merits heraus und zünde sie an. Ich habe seit mindestens zwanzig Jahren keine Zigarette mehr geraucht, seit meinem ersten Jahr auf dem College, als ich an einem Herrenabend in einem Verbindungshaus teilnahm. Ältere Studenten gaben mir Chesterfields, und ich stand an der Wand, die Hände in den Taschen, und versuchte, wie der Junge auszusehen, den alle gleich auffordern wollen, Mitglied zu werden: der schweigende, schmächtige Südstaatenjunge mit den Augen, die den Jahren voraus sind, so daß er schon etwas abgestumpft und übersättigt wirkt. Genau der Typ, den wir brauchen.
Da ich schon einmal dabei bin, schiebe ich die Hand tief in die Tasche. Ein Rosenkranz (voraussagbar). Die Bordbroschüre der United (geklaut). Ein Kärtchen mit Perlmuttknöpfen für alle Fälle (nützlich). Autoschlüssel für den Dart an einem großen Messingring mit einer V-Insignie. Ein nicht mehr volles Röhrchen mit Velamints. Zwei abgerissene Eintrittskarten von einem Kino, wo Vicki und ich Teil eines alten Charlton Heston-Films sahen (bis ich einschlief). Die Versicherungspolice vom Flug. Die Taschenbuchausgabe eines Romans, Love’s Last Journey von einer gewissen Simone La Noire. Und eine fette braune lederne Brieftasche mit dem gepunzten Westernmotiv eines großen Pferdekopfes auf glänzendem genarbtem Leder.
Darin – gleich ganz vorn – liegt das Bild eines Mannes, den ich noch nie gesehen habe; es ist ein angeberisch wirkender Typ mit mexikanischem Einschlag, mit einem am
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