Sprache, Kommunikation und soziale Entwicklung
Vater. Seine Äußerungen, auch seine Mimik, die durch die Störung betroffen waren, waren undifferenziert und uneindeutig, die Fähigkeiten zur aktiven Gestaltung von Interaktion und Kommunikation durch die funtionellen Defizite stark eingeschränkt.
Um eine responsive Interaktion einzusetzen, musste ich aufgrund seiner sehr stark eingeschränkten Möglichkeiten für Eigenaktivität und Interaktion seinVerhalten genau beobachten, um Möglichkeiten für soziale Interaktion finden zu können. Neben klar strukturierten musikalischen Angeboten, z. B. bekannte Kinderlieder oder improvisierte Situationslieder, wählte ich Instrumente, die leicht zum Klingen zu bringen waren, auch wenn wenige motorische Fähigkeiten vorhanden waren. So konnte in der ersten Stunde auf der Basis des Liedes »Hopp, hopp, hopp, Pferdchen lauf Galopp« ein kleines, dialogisches Spiel entwickelt werden.
Die Beobachtungen aus den ersten 3 Stunden zeigten uns, dass das Kind nicht nur Defizite hatte, sondern sehr wohl in der Lage war, gezielt auf Angebote einzugehen und im Rahmen seiner Möglichkeiten an sozialer und kommunikativer Interaktion teilzunehmen. Diese Beobachtungen dienten der Mitdiagnostik und ermöglichten es uns auch, das Vorgehen so zu adaptieren, dass es seinen Fähigkeiten entsprach.
Die Eltern dieses Kindes waren in allen Stunden anwesend, beobachteten, was ich machte, halfen mir ihn zu halten, wenn notwendig, und halfen mir auch seine Äußerungen zu verstehen. Sie berichteten, dass sie zum ersten Mal erlebten, wie ihr Kind gezielt auf Spiel- und Interaktionsangebote reagierte, und waren über seine Aktivität überrascht – sie erlebten ihn sonst als sehr passiv. In der 4. Stunde nahm seine Mutter aktiv am Spiel teil. Im Laufe der Stunde konnte man die positive Qualität der Mutter-Kind-Interaktion, die sich hier spielerisch entwickelte, deutlich beobachten. Die Mutter wurde zunehmend sicher in der Lenkung der Aufmerksamkeit des Kindes, die Spielform war dialogisch. Ich fand diese Entwicklung sehr berührend. Sie selbst sagte darüber: »Es ist so schön!«
Die Eltern des Jungen übernahmen die musikalischen Aktivitäten, die in den Stunden angebahnt wurden, als Teil des familiären Spielrepertoires. Man konnte bei jedem folgenden Aufenthalt weitere Fortschritte in seiner Entwicklung insgesamt und in den Kompetenzen der Interaktion und Kommunikation beobachten.
Praxisbeispiel 2
Als zweites Beispiel (Voigt 2003) möchte ich ein Mädchen vorstellen, das aufgrund einer genetischen Störung eine schwere geistige Behinderung und andere Störungen der Entwicklung aufwies. Das Mädchen kam mit 5 Jahren und
11 Monaten in die Musiktherapie. Sie zeigte keine aktive Sprache und hatte auch ein begrenztes Sprachverständnis. Zudem zeigte sie stereotype Spielweisen.
In der Musiktherapie während des ersten stationären Aufenthaltes zeigte das Mädchen Interesse für eine Perlenkette, mit der sie sich durch Schütteln und Fallenlassen recht stereotyp beschäftigte. Ich ging auf dieses Interesse des Kindes ein, bot ihr dann neue Handlungsmöglichkeiten im Rahmen der sozialen Spielsituation an, auf die sie recht gut einging. Ich führte die Kette wiederholt nach oben, begleitete dies mit Sprache. Griff das Mädchen nach der Kette und zog sie diese nach unten, ging ich hier mit. Ich zog die Kette auch in die Länge und begleitete dies auch mit Sprache. Zwischendurch wurde das Schütteln der Kette zugelassen und mit rhythmischer Sprache im 6 ⁄8-T akt (»und raschelt, und raschelt, und raschelt und raschelt und raschelt und raschelt und still!«) begleitet, um einen konkreten Ablauf mit Beginn und Ende aufzubauen.
Die Musik in dieser Aktivität bestand hauptsächlich aus rhythmischer Sprache, Sprachmelodie und Dynamik – also die musikalischen Parameter, die man häufig auch in der präverbalen Kommunikation zwischen Eltern und Säuglingen beobachtet.
Wie war das Vorgehen? Ich ließ zwar die Beschäftigung mit der Kette zu, lenkte dieses Spiel aber sehr stark über den Einsatz von musikalischen Parametern in der Sprache gekoppelt mit Handlung. So entstanden eine gemeinsame Aufmerksamkeitsabstimmung und Ansätze zu ritualisierten Spielformen. Auch bei diesem Kind wurden die Aktivitäten zu Hause umgesetzt und auch den Betreuern im Kindergarten mitgeteilt.
Beim stationären Aufenthalt zwei Monate später konnten wir eine Weiterentwicklung auch ihrer interaktiven und kommunikativen Kompetenzen beobachten, welche in der Zwischenzeit
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