Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition)

Titel: Sprachlügen: Unworte und Neusprech von »Atomruine« bis »zeitnah« (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Kai Biermann , Martin Haase
Vom Netzwerk:
(pleonastische) präfigierte End- dem Konsumenten oder Verbraucher seinen Platz in der Hackordnung zeigt: ganz hinten, ganz unten, am Ende. In der Nahrungskette der Natur stehen jene an letzter Stelle, die keine Feinde mehr haben und die von niemandem gefressen werden. Möglicherweise soll die Bezeichnung Endkunde genau diese mächtige Position andeuten. Aber das ist nur Werbung. Denn in der Wirtschaft funktioniert das etwas anders. Dort ist der Endkunde zwar das letzte, aber auch das schwächste Glied der Kette. Einfluss und Macht hat er nur, wenn er sich mit vielen anderen verbündet, was mühsam ist und selten. Tut er das nicht, ist er hilflos und großen Unternehmen ausgeliefert. Manchmal ist er dabei sogar selbst das Produkt, das verkauft wird. Im Synonym Endnutzer wird das noch deutlicher. Denn der besitzt eine Ware gar nicht mehr, er darf sie nur noch nutzen. Er ist also nicht mehr Kunde, sondern lediglich Mieter.

Endlager
    Vorsicht, hier wird Hoffnung verkauft, hier werden einfache Lösungen vorgegaukelt und das nicht zu knapp. Das Endlager nämlich ist ein ähnlich verheißungsvolles und unerfüllbares Versprechen wie jenes, das die Bibel mit dem Himmelreich macht: ein Ort, an dem man aller Probleme ledig sei. Endgültig steckt darin und Ende. Kein Hinweis dagegen auf Risiken und Gefahren. Dabei geht es um eine atomare Müllkippe. Die auch noch nicht einmal endgültig sein soll. Insofern ist das Endlager nicht nur ein Heilsversprechen, also eine Zwecklüge, sondern auch eine Contradictio in adiecto, ein Widerspruch in sich also, beziehungsweise ein Oxymoron. Denn das strahlende Zeug – soweit ist die Einsicht bereits – lässt sich wohl nirgends so verklappen, dass es tatsächlich auf ewig keinen Schaden anrichtet. Egal wo, egal wie tief, Wasser, Verschiebungen in der Erde oder die Radioaktivität selbst können dazu führen, dass die Brühe irgendwo wieder auftaucht. Also will man den Atommüll auch wieder ausbuddeln können, vorsichtshalber. Und wohl auch in der Annahme, dass der gern sogenannte Kernbrennstoff irgendwann knapp und damit teuer wird und man ihn ja auch in eine »Wiederaufbereitungsanlage« schaffen könnte. Die sogenannte rückholbare Endlagerung aber macht dann auch dem Letzten klar, dass hier überhaupt nichts endgültig ist und dass es nur darum geht, uns zu beruhigen, damit wir keine lästigen Fragen stellen.

Engpass
    In der DDR, deren Planwirtschaft vor allem eine Mangelwirtschaft war, fehlte dauernd irgendetwas. Da die Regierung gleichzeitig vorgab, mit dem Sozialismus die bessere der bekannten Welten zu errichten, mussten wenigstens neue Worte für die altbekannten Probleme her, wenn es schon keine neuen Produkte gab. So entstand auch der Engpass . Er hat die schöne Eigenschaft, dass er nur ein kurzes, enges Teilstück eines sehr viel längeren und breiteren Weges bezeichnet und also vorgibt, bald wieder vorbei zu sein. Der Mangel hingegen kennt keine Beschränkung, er kann ewig dauern. Womit er natürlich heftig auf die Stimmung drückt. Wohl dank dieser aufhellenden Eigenschaft wurde der Engpass aus der DDR in den gesamtdeutschen Sprachgebrauch exportiert. Er wird dort bis heute geführt, um zu vertuschen, dass mal wieder etwas fehlt – wobei es heute allerdings meistens Geld ist und eher selten Briketts. Ein Vorschlag von uns dazu: Sollte der Engpass eines Tages seine beschönigende Kraft verlieren, könnte noch ein weiteres Wort aus dem DDR-Sprech reaktiviert werden: die Bedarfslücke. Denn dass der Engpass sich langsam abnutzt, zeigt sich daran, dass er manchmal schon als vorübergehender oder auch temporärer Engpass verstärkt wird. Was nicht nur ein Euphemismus ist, sondern auch noch eine Tautologie.

Entscheider
    Wichtigtuerisch für jemanden, der irgendetwas entscheidet, beziehungsweise für jemanden, der, wie es inzwischen sogar albernerweise heißt, »Entscheide trifft«. Letztlich erledigen wir das alle jeden Tag tausende Male, und das ist das Problem: Dinge, die jeder macht, erscheinen uns zu Recht als banal. Wer so etwas zu seinem Beruf erklärt, will sich natürlich von Hinz und Kunz abheben, um zu rechtfertigen, dass er ein hohes Gehalt dafür bekommt. Sprachlich handelt es sich dabei um ein sogenanntes Nomen agentis, eine Personenbezeichnung, die von einem Verb oder einem Substantiv abgeleitet ist. Bei alltäglichen Verben wie laufen, schreiben, lesen oder eben entscheiden fällt uns schnell die offensichtliche Prahlerei auf, die sich darin verbirgt.

Weitere Kostenlose Bücher