Sprengkraft
gerade den Aufmacher für morgen. Eins Komma vier Promille kann ich nicht einfach so unterschlagen.«
»Eins Komma zwo«, berichtigte Moritz.
»Fahruntüchtig bleibt fahruntüchtig.«
»Aber so können Sie doch nicht über eine Tote schreiben.«
»Muss ich! Der Boulevard lebt von der Zuspitzung.«
Moritz versuchte es mit seiner ursprünglichen Idee: »Und wie wär’s mit Mord?«
»Bitte?«
»Ein feiger Mordanschlag!«
»Sie meinen, man hätte Frau Ott gegen ihren Willen Schnaps eingeflößt, damit sie …«
»Vergessen Sie mal für einen Moment den Alkohol. Es kann doch sein, dass sie jemand mit dem Auto von der Straße abgedrängt hat. Einer, dem es nicht schmeckt, wie die Freiheitlichen den Politbetrieb aufmischen. Jemand, dem die mutige Carola ein Dorn im Auge war, seit sie von der CDU zu uns gewechselt ist.«
»Sie meinen die Kanzlerin?«
»Überlegen Sie mal, Herr Vogel: Dass Frau Ott nicht ganz nüchtern war, steht morgen auch in den Artikeln Ihrer Konkurrenz. Das Mordkomplott hätten Sie exklusiv.«
»Ich weiß nicht recht.«
»Wo bleibt Ihr berühmter Mut?«
»Für so eine Räuberpistole bräuchte ich selbst erst mal eins Komma zwei Promille, mein Lieber.«
Ich war nicht überzeugend, dachte Moritz konsterniert, als er das Gespräch beendete. Wie auch. Seiner Idee fehlte jegliche Substanz. Und letztlich war auch seine Inszenierung hier draußen vermutlich für die Katz.
Eins Komma zwei Promille – wie hatte Carola den Freiheitlichen so etwas antun können?
Allmählich begann es zu dämmern. Die Fotografen hatten sich bereits vom Acker gemacht und auch unter den Mitarbeitern der Parteizentrale machte sich Aufbruchstimmung breit. Moritz warf einen letzten Blick auf die Stelle, an der Carola gelegen hatte. Erst anderthalb Tage nach dem Unfall hatte man ihre Leiche entdeckt – ein gruseliger Gedanke.
Dann fragte sich Moritz erneut, was Carola auf die schmale Landstraße geführt hatte. Vielleicht war sie auf dem Heimweg nach Köln gewesen, aber woher war sie gekommen?
Sein Blick fiel auf rote und weiße Lichter, die im Norden schimmerten – Autos, die bei Uerdingen den Rhein überquerten. Duisburg lag auf der anderen Seite.
Moritz fiel Bucerius ein.
54.
Veller beschloss, den Abend bei seinem Lieblingstürken ausklingen zu lassen, wo er bereits gestern mit Anna gegessen hatte. Er bestellte Etli Makarna, Huhn mit Nudeln, und weil er besonders hungrig war, vorweg den Vorspeisenteller. Das Lokal füllte sich, ein gemischtes Publikum wie immer, türkisch und deutsch, Männer und Frauen, das Palaver an den Tischen schwoll zur fröhlichen Lärmkulisse an – als funktioniere das multikulturelle Nebeneinander doch.
»Heute allein?« Der Kellner war an den Tisch getreten und schnalzte bedauernd mit der Zunge. »Hat nicht geklappt, gestern?«
Veller kannte den Namen des jungen Mannes nicht, aber sie grüßten sich jedes Mal herzlich. »Zum Trinken bitte ein Wasser und ein Viertel Yakut«, bestellte Veller.
»Probier mal den Buzbag. Ist kräftiger.«
»Okay, wie du meinst.«
Ein Mann im Parka kam herein und verteilte Zettel. Er wurde angemotzt, der Kellner mischte sich ein und der Parkaträger floh mit wehendem Schal nach draußen.
Ein Flugblatt war neben Veller zu Boden gesegelt. Er hob es auf. Zeichen setzen für die Freiheit! – der Flyer warb für eine Demo.
Der Kellner brachte den Wein und beäugte das Blatt, während er das randvolle Glas abstellte. »Die Bombe kommt denen gerade recht«, kommentierte er.
»Was meinst du damit?«
»Es ist wie damals in Berlin zur Nazizeit. Ein Irrer zündet den Reichstag an und die Deutschen gehen gegen die Juden los. Kaum läuft die Wirtschaft nicht gut, werden die Leute für so was empfänglich. Und wir Muslime sind die Juden von heute.«
»Ich glaube, da gibt es Unterschiede. Der Islamismus ist eine reale Gefahr. Auch in der Türkei gibt es Anschläge.«
»Die Bombe in Istanbul? Keiner weiß, wer es wirklich war. Aber natürlich gibt der Staat den Kurden oder El Kaida die Schuld. Es ist genauso wie hier. Der Anschlag passt ins Kalkül der Herrschenden.«
Linksradikale Wortwahl, dachte Veller.
Leute am Nachbartisch winkten dem Keller ungeduldig zu, doch der schien das nicht zu bemerken. »Globalisierung, Finanzkrise, Rezession. Da brauchen die Herrschenden einen Sündenbock, damit die Hartz-IV-Leute nicht auf die Straße gehen, verstehst du? Alle sind gegen Muslime, aber keiner weiß, was das überhaupt ist.
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