Sprengkraft
die Unsicherheit machte sie pedantisch und entscheidungsschwach zugleich. Fast eine Stunde brüteten sie in einem Raum von der Größe einer Teeküche über Formulierungen für das Briefing des Ministers, als ginge es um den Henri-Nannen-Preis.
Dann schrillte Vellers Handy.
Es war Günther Koch, der Mann vom Verfassungsschutz.
»In Ihrer Dienststelle sagt man, Sie seien hier im Haus«, begann Koch.
»Richtig.«
»Können wir miteinander reden?«
Also doch, dachte Veller – sein Besuch bei der Generalbundesanwältin zeigte offenbar Wirkung.
Zwei Stockwerke höher, eine ähnlich winzige Zelle. Vellers Magen knurrte wieder.
»Bekomme ich endlich die Akten?«, fragte er.
»Meinen Sie etwa die Fallakte zur Düsseldorfer Zelle und die Quellenakte Yassin inklusive Auswerterbericht? Und womöglich auch die Personalien des Quellenführers, den Sie als Michael Winner kennen?« Koch schüttelte den Kopf. »Sie glauben also noch immer, der Verfassungsschutz würde die Hosen herunterlassen, Herr Weller?«
»Veller, mit V.«
»Die Generalbundesanwältin hat sich unserer Beurteilung angeschlossen. Geben Sie sich geschlagen. Mag ja sein, dass Ihnen die Düsseldorfer Bombe als spektakulärer Fall erscheint, aber die drei sind tot und damit hat sich die Sache erledigt.«
»Bilden Sie sich bloß nicht ein, dass ein roter Geheimstempel genügt, um den Deckel dicht zu halten«, drohte Veller. »Früher oder später wird sich die Öffentlichkeit ein eigenes Bild machen.«
Mit diesen Worten verließ er Kochs Büro.
»Keine Dummheiten!«, rief ihm der Geheimdienstmann hinterher. »Sie machen sich strafbar, wenn Sie an die Presse gehen!«
Als Veller den Parkplatz des Ministeriums verlassen wollte, streikte die Schranke. Er drückte den Knopf des Notrufsystems und gestikulierte in die Sicherheitskamera, doch nichts tat sich. Nach einer Weile reihte sich hinter ihm ein Audi ein und Veller überlegte, ob er zum Pförtner gehen sollte. In diesem Moment sprang die Schranke hoch.
Veller fuhr los und stellte über die Freisprechanlage die Verbindung mit Karlsruhe her. Das Freizeichen tutete zwei Mal, dann hatte er Bundesanwalt Ludwig an der Strippe.
»Wie kommt Ihre Chefin dazu, nachzugeben?«, fragte Veller.
»Uns sind die Hände gebunden«, antwortete der Bundesanwalt. »Der Vorgang unterliegt der Geheimhaltung und es gibt nun mal Dinge, die wir den Bürgern besser nicht verraten.«
Hör dir diesen jungen Karrieristen an, dachte Veller.
Ludwig ergänzte: »Zumal sich die Düsseldorfer Zelle quasi selbst liquidiert hat.«
»Warum tun dann die Politiker so, als befänden wir uns im Krieg?«
»Es gibt in Deutschland Hunderte von Gefährdern, die vielleicht in diesem Moment schon an der nächsten Bombe basteln. Die Explosion von Montagabend gibt uns die Chance, nach den nötigen Mitteln zu greifen, um die Demokratie zu verteidigen. Oder wollen Sie eine Zwangsislamisierung und die Diktatur der Mullahs?«
»Sie reden fast schon wie einer von diesen Freiheitlichen.«
»Blicken Sie mal über den Tellerrand und vergessen Sie das Parteiengezänk.«
»Dann diente die Bombe also dazu, das Land wachzurütteln.«
»So kann man das betrachten.«
»Also hätte auch der Staat selbst die Bombe legen können.«
»Herr Veller, werden Sie nicht albern.«
Fast hätte Veller eine Ampel übersehen, die vor ihm auf Rot sprang. Im letzten Moment stieg er auf die Bremse. Der Audi hinter ihm hatte Mühe, rechtzeitig anzuhalten. Immerhin hupte der Fahrer nicht.
»Jedenfalls taugt der Fall nicht dazu, ein großes Fass aufzumachen«, sagte Ludwig. »Deckel drauf und fertig. Sollten die Medien etwas spitzkriegen, werden wir jede Verwicklung des NRW-Verfassungsschutzes dementieren.«
Veller fand keine Worte mehr.
»Schön, dass wir uns offenbar verstehen«, sagte Ludwig.
»Nein, das tun wir nicht«, widersprach Veller und beendete das Gespräch.
Die Ampel zeigte Grün. Veller bog in die Gegenrichtung ab, zurück in die Innenstadt. Er hatte einen Entschluss gefasst.
Eine Veröffentlichung im Blitz würde die größten Wellen schlagen. Die Redaktion saß an der Königsallee. Er kannte dort zwar keinen, aber die Story, die er anzubieten hatte, würde ihm sämtliche Türen öffnen. Den Ärger, den ihm das einbringen würde, nahm Veller in Kauf.
Er musste zweimal um den Block fahren, bis er eine Lücke fand. Beim Einparken befielen ihn Zweifel. Was war, wenn sich der Chefredakteur von dem
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