Sprengkraft
»Klingt fast, als wären Sie ein verkappter Grüner.«
»Ich war Delegierter des Gründungsparteitags in Karlsruhe. Mit zwanzig Jahren einer der jüngsten.«
»Bravo«, lobte Bucerius. »Wie sagte einst ein kluger Mann: Wer in seiner Jugend kein Kommunist war, hat kein Herz, wer es aber im Alter noch ist, hat keinen Verstand.«
»Franz Josef Strauß«, stellte Moritz fest.
»Hab ich Ihnen nicht gesagt, dass unser Herr Lemke ein heller Kopf ist? Einer, der sich noch an Strauß erinnert!«
»Und warum haben Sie die Grünen verlassen?«, fragte Still misstrauisch.
»Weil sie begannen, den Mist, wie Sie es nennen, über Bord zu werfen.«
Moritz schätzte die Ökopartei inzwischen so gering wie jede andere und mit Petra hatte er sich deshalb oft gekabbelt. Aber es machte ihm Spaß, dem Langen aus dem Innenministerium Paroli zu bieten.
Still wandte sich an Bucerius. »Langsam beginne ich daran zu zweifeln, dass Lemke uns weiterhelfen kann.«
»Nichts da. Er ist ein kluger Kopf und versteht sich auf das PR-Geschäft. Was man von den Parteisprechern, die der bisherige Vorsitzende aus dem Hut gezaubert hat, nicht behaupten konnte.« Der Bauunternehmer drückte Moritz’ Schulter und senkte die Stimme. »Ich hörte, Ihr Honorar beträgt dreitausend pro Woche?«
»Verstehen Sie mich jetzt bitte nicht falsch«, antwortete Moritz. »Für Sie würde ich jederzeit arbeiten, Herr Bucerius. Aber mit Verlaub, für eine Partei, die eindeutig rechtsradikal …«
»Ach was«, unterbrach ihn Bucerius. »Das war sie früher nicht und das wird sie in Zukunft noch viel weniger sein. Ich verrate Ihnen mal was. Unser Herr Still ist langjähriger Beamter des Landesamts für Verfassungsschutz. Kann es einen besseren Garanten dafür geben, dass die Partei auf dem Boden des Grundgesetzes steht?«
Für einen Moment war Moritz sprachlos. Er überlegte, ob Still ein Rechter war, der seinen Posten im Ministerium für politische Ziele missbrauchte, oder ein Geheimdienstmann, der die Protestpartei unterwanderte.
Dann fragte er: »Verfassungsschutz? Klingt ganz schön spannend.«
»Von wegen«, antwortete Still. »Ein Job wie jeder andere auch. Ich sitze den ganzen Tag am Schreibtisch und ärgere mich über meinen Chef.«
Sie lachten.
Bucerius raunte Moritz zu: »Ich gebe Ihnen fünfzigtausend bis zum Wahltag und die gleiche Summe als Bonus, wenn wir den Einzug in den Landtag schaffen.«
Ruhig bleiben, sagte sich Moritz.
Carola Ott-Petersen kam herangeschlendert. »Und? Haben Sie sich entschieden?«
»Wer von Ihnen ist eigentlich der Boss bei den Freiheitlichen?«, fragte Moritz.
»Das wird natürlich Frau Ott-Petersen sein«, antwortete Bucerius und strahlte die Abgeordnete an. »Attraktiv, redegewandt und charismatisch. Sie, Herr Lemke, werden dafür sorgen, dass die gewandelten Freiheitlichen und ihre Vorsitzende in den Medien gut rüberkommen.«
Ott-Petersen hob ihr Sektglas und stieß mit Moritz an. »Wir werden die Leute von den politischen Notwendigkeiten überzeugen, ehrlich und geradeheraus. Dafür braucht es eine Politikerin mit dem Herzen auf dem rechten Fleck und einen PR-Fachmann, der die Medienlandschaft kennt und an die Kraft der Argumente glaubt. Wir zwei Kölner werden ein gutes Team abgeben!«
Die kurze Ansprache hatte Moritz verwirrt. Von Charisma zu reden, war übertrieben, aber die Frau hatte etwas.
»Also?«, fragte Bucerius.
Drei Augenpaare musterten Moritz.
Er leerte sein Glas. Er brauchte das Geld. Die Worte seines alten Schulfreunds Thomas Brennecke: Du bist Profi.
Ein seltsamer Haufen, diese Freiheitlichen.
»Geben Sie mir einen Tag Bedenkzeit«, antwortete Moritz und ließ sich nachschenken.
11.
Rafi lag auf seinem Bett, starrte zur fleckigen Decke und dachte an Noureddine. Obwohl sein älterer Bruder nicht nach dem Koran gelebt hatte, vermisste er ihn manchmal.
Es war Noureddine gewesen, der sich um seine Hand gekümmert und die Operationen bezahlt hatte. Als Rafis Linke dennoch verkrüppelt blieb, verprügelte sein Bruder jeden, der den Kleinen deshalb auch nur schief ansah. Sie waren jahrelang unzertrennlich gewesen.
Noureddine – lediglich eine nach Mekka ausgerichtete Grabstätte im muslimischen Abschnitt des Südfriedhofs war von ihm geblieben, der BMW und eine vollgepackte Reisetasche unter Rafis Bett.
Den Eltern war es egal gewesen, womit ihr Erstgeborener sein Geld verdiente, solange er nicht Schande brachte, indem er aufflog.
Mit zwölf hatte Rafi
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