Sprengkraft
sich. Die Talkrunde wäre die perfekte Plattform für die Freiheitlichen gewesen. Im Faxgerät lag noch die schriftliche Bestätigung der Einladung. Moritz angelte danach und las: Zersplitterung der Parteienlandschaft – Gefahr für die Demokratie?
»Haben Sie das Konzept der Sendung geändert?«
»Nein, eigentlich nicht«, antwortete die Anruferin. Eine Redaktionsassistentin oder Praktikantin, vermutete Moritz. Jemand, den der Chef vom Dienst vorschickte, wenn die Aufgabe unangenehm und nicht so wichtig erschien.
»Was ist dann der Grund?«
Die Praktikantin druckste herum. »Wir dachten, äh …«
Moritz überflog die Namen der übrigen Gäste, namhafte Vertreter der etablierten Parteien sowie der Linken. Carola wäre die einzige Frau gewesen und hätte garantiert eine gute Figur gemacht.
Ein Schuss ins Blaue: »Hat etwa der FDP-Vorsitzende gedroht, die Sendung zu boykottieren, falls Carola Ott teilnimmt?«
»Äh …«
»Das wäre nicht das erste Mal. Sie können es mir verraten. Es bleibt unter uns.«
Moritz griff über den Telefonkasten und drückte die Lautsprechertaste, damit er Heike als Zeugin hatte und sie mitstenografieren konnte.
Stille am anderen Ende.
»Also hat dieser Schnösel Ihrer Redaktion die Hölle heißgemacht?«
»Nicht nur. Auch der CDU-Fraktionschef. Und der Grünen-Sprecher. Eigentlich alle außer dem Typen von den Linken.«
»Vermutlich haben sie sich abgesprochen. Und dann ist Ihre Chefin eingeknickt. Bestellen Sie ihr schöne Grüße. Mit Rückgrat kommt man besser durchs Leben.«
»Es lag nicht an Frau Will.«
»Sondern?«
»Der ARD-Programmdirektor …«, begann das Mädel und stockte.
»Danke für die Info.«
»Sie sagen es wirklich keinem weiter?«
»Wenn Sie einen neuen Job brauchen, junge Frau, dann melden Sie sich bei den Freiheitlichen. Wir suchen pfiffige Leute für unser Wahlkampfteam.«
Moritz schaltete den Lautsprecher aus, legte auf und zeigte Heike den erhobenen Daumen.
Er hatte ein Thema für die morgige Ausgabe des Blitz gefunden, mit dem es die Freiheitlichen erneut auf den Titel schaffen würden: das Kartell der Filzokraten – wie machtgeile Funktionäre und folgsame Medienmanager missliebige Meinungen mobbten. Und wie die ›couragierte Carola‹ dagegen ankämpfte, um der schweigenden Mehrheit im Lande Gehör zu verschaffen.
Durch die geöffnete Tür bemerkte Moritz, dass die designierte Vorsitzende eintraf. Sie grüßte im Vorbeigehen und ging nach hinten in ihr Büro. Arne, der junge Fahrer, den Bucerius ebenfalls den Freiheitlichen überlassen hatte, folgte mit zwei Rollkoffern.
Als der Fahrer gegangen war, schnappte sich Moritz seine Sony-Amateurkamera und schlenderte zu Carola hinüber. Er klappte das Display auf und filmte, wie sie über Briefen saß, die Gräfe ihr zum Unterschreiben hingelegt hatte.
Carola wehrte ab. Sie wirkte müde. Zwei steile Falten auf der Stirn – als missfalle ihr, was sie da las.
Moritz schwenkte über einen üppigen Rosenstrauß und weiter zum Freiheitlichen-Plakat an der Wand. Dann schaltete er das kleine Gerät aus, ließ sich auf dem zweiten Stuhl nieder, der noch in der Schutzfolie steckte, und griff nach dem Kärtchen, das zwischen den Blumen lag: ein Willkommensgruß von Edwin A. Bucerius, dem Baulöwen und Parteimäzen.
Carola schluckte eine Tablette, schraubte eine Wasserflasche auf und nahm einen Schluck. »Kopfschmerzen«, sagte sie.
»Wie war’s in der Hauptstadt?«
»Ein Spießrutenlauf. ›Judas‹ war noch die harmloseste Beschimpfung. Müller-Winterberg spuckte vor mir aus. Von Krosigk warf mir einen angebissenen Apfel an den Kopf. Ich war so fertig, dass ich jedes Mal, wenn ich einen Raum verließ, zuerst durch das Schlüsselloch geprüft habe, ob draußen ein CDU-Kollege vorbeiging.«
»Bereust du deine Entscheidung?«
»Weniger denn je.«
»Für die Wähler bist du eine Heldin. Die Jeanne d’Arc des Politikbetriebs.«
»Du meinst, man wird mich verbrennen?« Immerhin zeigte sie nun ein Lächeln.
Moritz fragte: »Wollen wir die Parteitagsrede noch einmal durchgehen?«
»Nicht nötig. Sie ist perfekt, wie du sie formuliert hast.«
»Die Medien rennen uns die Bude ein.«
»Wird das Fernsehen kommen?«
»Natürlich.« Moritz hob seine kleine Kamera hoch.
Carola lachte. Dann sagte sie: »Allenfalls könnten wir einige Stellen etwas schärfer formulieren. Schau dir mal den Koran an. Ein im Grunde faschistoides Machwerk, aufgeschrieben für ein
Weitere Kostenlose Bücher