Sprengkraft
Erst im dritten Anlauf verstand sie, dass es sich bei ihnen um den Vorstand des marokkanischen Kulturvereins handelte, der das Hinterhaus gemietet hatte. Die drei hatten sich in Schale geworfen, weißes Hemd zum dunklen Anzug, womöglich ihre vornehmste Kluft.
Der Älteste wollte wissen: »Haben Sie die Nazis schon festgenommen?«
»Welche Nazis meinen Sie?«
»Die Leute, die unsere Moscheen zerstören!«
Polizeirat Thann mischte sich ein und stellte sich vor. Sein Dienstrang schien den Vereinsvorständen Respekt einzuflößen. Anna war froh, dass sie sich nicht weiter um diese Leute kümmern musste, zumal jetzt endlich die Tatortgruppe des Landeskriminalamts eintraf. Ein großer Transporter und zwei Pkw – die Straße war endgültig dicht.
Das Team bestand aus sechs Beamten in Zivil, darunter zwei Kollegen, die sich schwere Helme aufsetzten und eingemummt in dicke Schutzkleidung über das Absperrband kletterten, um den Hof und die Räume der ehemaligen Druckerei nach weiteren Sprengsätzen zu durchsuchen – der Entschärfertrupp.
Der Leiter der Tatortgruppe, ein Mann von Mitte vierzig mit Bierbauch und buschigem Schnauzbart, stellte sich als Klaus Bisping vor und schüttelte erst Ela Bach die Hand, dann Kriminalrat Thann, bevor er Jonas zuwinkte und sich von Anna die Lage beschreiben ließ.
Allmählich hatte sie Routine darin: »Die Detonation ereignete sich im Hinterhaus. Zwei Tote, ein Schwerverletzter. Einer der jungen Männer ist uns bekannt, Abderrafi Diouri, neunzehn Jahre, Sohn marokkanischer Migranten. Wir haben die Vornamen der beiden anderen, zwei Bekannte Diouris namens Said und Yassin, aber eine Identifizierung war noch nicht möglich. Diouri wollte gestern Abend Heroin an einen Bekannten verkaufen, der sich uns anvertraut hatte. Doch dann erschien Diouri nicht am vereinbarten Treffpunkt.«
Bisping nickte.
»Stattdessen zog er es vor, sich hier mit seinen Kumpels zu treffen«, sagte Anna.
»Und in die Luft zu fliegen«, ergänzte der Mann vom LKA ungerührt.
Anna atmete tief durch. Sie spürte, dass sie noch immer unter Strom stand.
»Hinweise auf weitere Beteiligte?«, fragte Bisping.
»Noch nicht.«
Der Leiter der Tatortgruppe zwängte sich in einen Overall, der am Bauch spannte, streifte Handschuhe über und zog Plastikhüllen um die Schuhe. Dann scharte er seine Leute um sich und teilte die Spurenbereiche ein.
Das Entschärferteam kehrte zurück und gab Entwarnung. Keine Sprengfallen, keine weiteren Bomben, zumindest nicht hier.
Die Arbeit konnte beginnen.
25.
Moritz ging die Talkshow nicht aus dem Kopf. Er fühlte sich zu aufgedreht, um ins Bett zu gehen. Im Fernsehen lief nichts Gescheites. Stattdessen schnitt Moritz ein paar Artikel aus den Zeitungen der letzten Tage, um sie zu archivieren, und räumte schmutziges Geschirr in die Spülmaschine. Als er begann, den Herd zu putzen, klingelte das Telefon. Es war bereits kurz nach zwei.
Carola war am anderen Ende der Leitung. »Habe ich dich geweckt?«
»Nein, ich kann auch nicht schlafen.«
»Hast du von der Bombe gehört?«
»Welche Bombe?«
»In Düsseldorf.«
»Warte.«
Moritz eilte mit dem Hörer ins Wohnzimmer und schaltete das Fernsehgerät ein. ARD, Videotext, Tafel 120 – tatsächlich. Nur wenige Zeilen:
Eine schwere Detonation in einem Hinterhofgebäude erschütterte am späten Montagabend die Düsseldorfer Innenstadt. In dem gleichen Haus befindet sich auch ein muslimischer Gebetsraum. Nach Angaben von Nachbarn wurde mindestens ein Mensch verletzt und in eine Klinik gebracht. Zu weiteren Opfern machte die Polizei bislang keine Angaben.
»Ich hab’s von Beckmann erfahren«, sagte Carola. »Wir haben an der Bar einen Absacker getrunken, als er die Nachricht bekam. Jetzt sitze ich vor der Hotelglotze, aber im Videotext steht nicht viel.«
»Hab’s gerade gelesen.«
Am liebsten hätte sich Moritz in seinen Mondeo gesetzt und wäre zum Ort des Geschehens gefahren. Wie in alten Zeiten, als er noch für den Kölner Kurier unterwegs gewesen war.
»Was meinst du, waren es Nazis?«
»Ich weiß es nicht, Carola.«
»Beckmann hielt das für möglich.«
Moritz erinnerte sich daran, dass erst vor wenigen Tagen in Norddeutschland ein junger Neonazi einen Gebetsraum in Brand gesetzt und in der Umgebung Zettel mit islamfeindlichen Parolen verteilt hatte. Gerade war er in einer Zeitung auf diese Meldung gestoßen, hatte sie aber nicht für archivierenswert gehalten. Dann fiel ihm ein, dass
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