Sprengkraft
zu Beginn der Neunzigerjahre die CDU mit Stimmungsmache gegen sogenannte Wirtschaftsasylanten in ihre Wahlkämpfe gezogen war – kurz darauf hatten die Wohnungen der Vietnamesen in Rostock-Lichtenhagen gebrannt. Wenn Rechtsradikale hinter der Düsseldorfer Bombe steckten, würde die Öffentlichkeit die Freiheitlichen als geistige Wegbereiter in die Mitverantwortung nehmen. Erst recht nach Carolas Auftritt in der Talkshow. Moritz kannte die Mechanismen öffentlicher Empörung.
»Hast du ein schlechtes Gewissen?«, fragte er.
»Wieso, findest du, ich bin in der Sendung zu weit gegangen?«
»Und wie! Das war Sprengstoff. So provokant hatten wir es nicht geplant.«
»Willst du mich wegen dieser Bombe für schuldig erklären?«
»Um Himmels willen, nein, so war das nicht gemeint.«
»Nicht einmal Beckmann hat mir das vorgeworfen.«
Aber gedacht hat er es vielleicht, überlegte Moritz. Doch das Telefon war ein schlechtes Medium für Diskussionen. Deshalb wechselte er das Thema: »Wie ist dein Hotel?«
»Das Frühstück soll gut sein.«
»Versuch zu schlafen, Carola. Uns steht ein turbulenter Tag bevor.«
Für einen Moment war Stille in der Leitung.
Dann sagte Carola: »Mir geht noch etwas durch den Kopf.«
»Was denn?«
»Was würdest du dazu sagen, wenn ich Ole verlasse?«
Das fehlte noch, dachte Moritz und stellte sich das Medienecho vor. Die Freiheitlichen hatten jetzt genug Probleme.
26.
Jeder Nagel wurde eingetütet, jeder Fleck fotografiert. Scheinwerfer tauchten den Hof in grelles Licht, das Brummen des Generators hallte in Annas Schädel als bohrender Schmerz wider. Sie fror und ihr fiel ein, dass sie seit bald vierundzwanzig Stunden auf den Beinen war.
Ein Beamter des Landeskriminalamts verließ den Anbau. Er schleppte einen blau und grau lackierten Kasten sowie einen Laptop, eine Kollegin folgte mit einem Alu-Stativ – die beiden arbeiteten für die Tatortvermessung und waren nach Zander und dem Entschärferteam die Ersten, die den einsturzgefährdeten Gebäudeteil betreten hatten. Anna hatte den Eindruck, dass der Riss, der quer über die Außenwand verlief, gewachsen war.
»Fertig«, meldete die Kollegin mit dem Stativ.
Bisping erhob sich und legte die Stirn in Falten. »Der Anbau ist unterkellert.«
»Heißt das, du willst, dass wir …«
»Die Kellerdecke hat sich aufgrund der Detonation gesenkt. Mit eurem Wunderding könnt ihr bestimmen, wo genau der Knick in den Stahlträgern liegt. Damit hätten wir die exakte Stelle, an der die Bombe explodierte.«
Anna fragte sich, ob die Kellerdecke halten würde, falls der Anbau zusammenkrachte.
Die beiden Tatortvermesser schleppten ihre Gerätschaften zum Hinterhaus zurück.
»Danke«, brummte Bisping hinter ihnen her und machte sich wieder ans Einsammeln der Nägel.
Anna streckte sich und dehnte den Nacken. Ein silbergrauer Himmel überspannte das Viertel. Es wurde Tag.
Zur ersten Besprechung versammelten sich die Beamten der Mordkommission Moschee im Gebetsraum der ehemaligen Hinterhoffabrik. Im Gegensatz zum Anbau bestand hier keine Einsturzgefahr. Sogar die Fensterscheiben waren heil geblieben – sie hatten im toten Winkel der Explosion gelegen.
Anna betrat zum ersten Mal eine Moschee. Sie wunderte sich, wie groß und kahl der Raum war. Teppichboden, Neonröhren an der Decke. Der Ort hatte nichts Sakrales, abgesehen vielleicht von der hölzernen Kanzel, die jedoch aussah wie von einem Hobbybastler gezimmert.
Jemand hatte Tische und Technik herbeigeschafft, damit die Polizei arbeiten konnte. Wenn es eine Heizung gab, dann spürte Anna nichts davon. Sie zählte rund vierzig Personen, darunter der diensthabende Staatsanwalt, Kripochef Engel sowie der Sprecher der Düsseldorfer Polizeibehörde. Weil die Stühle nur für einen Teil der Anwesenden gereicht hätten, konferierten die Beamten im Stehen.
Listen und Stapel kopierter Berichte wanderten durch die Reihen. Der Kripochef hieß die versammelten Kollegen willkommen. Er betonte die Brisanz des Falls und teilte mit, dass der Verfassungsschutz eingeschaltet sei. Dann übergab er das Wort dem Leiter der Mordkommission.
Ela Bach hatte ihren Stellvertreter Thilo Becker dazu bestimmt. Der Kriminalhauptkommissar trug einen orangefarbenen Strickpulli, der nicht gerade der letzte Schrei war, und hätte dringend einen Haarschnitt gebraucht, wie Anna fand. Thilo bat die Spezialisten vom Landeskriminalamt um ihre bisherigen Ergebnisse.
Die beiden
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