Sprengkraft
nur, dass die Ärzte an ihm herumflicken.«
Zander nickte nachdenklich. »Das Geschrei der Mutter hättest du hören sollen.«
27.
Ein schrecklicher Dienstagmorgen, dachte Moritz. In der Parteizentrale war an Arbeit nicht zu denken. Die meisten Mitarbeiter hatten sich in Heikes Zimmer versammelt und diskutierten. Sie teilten Moritz’ Befürchtung, dass hinter dem Anschlag Neonazis steckten. Nur Geschäftsführer Gräfe mochte sich nicht an den Spekulationen beteiligen, sondern verabschiedete sich in das asiatische Bling-Bling-Restaurant im Erdgeschoss des Bucerius-Hochhauses, wo er eine Reihe von Einstellungsgesprächen anberaumt hatte.
Moritz grübelte darüber nach, wie sich die Freiheitlichen weiterhin mit Islamkritik profilieren und trotzdem glaubhaft Distanz zu fremdenfeindlichen Attentätern demonstrieren konnten. Ihm fiel nichts ein.
Er studierte E-Mails, die über das Kontaktformular der Homepage bei den Freiheitlichen eingegangen waren. Reaktionen auf Carolas provokanten Auftritt in der ARD, ihr Tenor war einhellig – die Mails stammten ausschließlich von empörten Gutmenschen oder aufgebrachten Muslimen.
Einer nannte sich Salah ad-Din und drohte unverhohlen:
Wer das Ansehen des Gesandten Muhammad (Allahs Segen und Heil auf ihm) schändet, hat seine Ehre verwirkt und ist des Teufels. Allah wird die Ehrlosen strafen und von der Erde tilgen!
Noch gestern wäre Moritz damit an die Presse gegangen, um daraus Kapital für die Partei zu schlagen – als Beweis für die Intoleranz der Scharia-Anhänger und für den Mut der Freiheitlichen, sich von solchen Kampfansagen nicht beirren zu lassen.
Seit heute verfing seine Propaganda nicht mehr.
Und morgen würden die Tageszeitungen über die Beckmann-Sendung und die Explosion in der Moschee berichten und unweigerlich Zusammenhänge konstruieren. Die Freiheitlichen als Brandstifter. Die Welle der Wut würde erst richtig anrollen.
Während Moritz las, gingen neue Mails ein.
Darunter auch ein Lob auf die Vorsitzenden:
Endlich mal wer, der sich nix um die Denkverbote der vom Ausland gelenkten Systemparteien schert. Moslems sind Parasiten im Volkskörper. Wenn sie nicht freiwillig das Land verlassen, findet die deutsche Chemieindustrie mit Sicherheit ne Lösung. Es lebe der nationale Widerstand! Solid. Grüße, Whiteboy88
In Moritz’ Augen erfüllte diese Mail den Tatbestand der Volksverhetzung. Sie war unter Pseudonym verschickt worden, aber ein Spezialist könnte vielleicht den Absender ermitteln. Ich sollte zur Polizei gehen, dachte Moritz. Den Nazi anzeigen. Und wegen der übrigen Mails Personenschutz für Carola beantragen.
Dann erkannte Moritz, wie peinlich alles vermutlich war.
Im Internet suchte er nach aktuellen Meldungen zur Düsseldorfer Explosion. Inzwischen war die Rede von zwei Toten und einem Schwerverletzten. Keine weiteren Informationen.
Es hat keinen Zweck, dachte Moritz, öffnete ein neues Dokument und begann, ein Kündigungsschreiben an Edmund A. Bucerius aufzusetzen. Als er damit fertig war, fand er die Begründung viel zu weitschweifig, löschte den Text und fing von Neuem an.
Die zweite Fassung traf es schließlich auf den Punkt.
28.
Anna verstellte das Band im Inneren der Helmschale auf ihre Größe und stülpte sich das gelbe Plastikding auf den Kopf. Gemeinsam mit Bisping und zwei weiteren Beamten der Tatortgruppe betrat sie den Anbau und stieg in das Trümmerfeld, das einst die Gästeunterkunft des Moscheevereins gewesen war.
Der Staub hatte sich etwas gelegt. Das Mauerwerk war von der Feuerwehr abgestützt und als halbwegs stabil deklariert worden. Die Leichen waren bereits weggeschafft – Anna war froh, dass ihr der nochmalige Anblick der zerschundenen Körper erspart blieb.
Aufräumarbeit. Jeder Splitter, jede Faser, jeder Blutstropfen konnte eine wichtige Spur sein. Alles musste fotografiert werden, katalogisiert, abgekratzt, in Beutel gepackt oder auf Folien gezogen und ins Labor verfrachtet.
Die Müdigkeit überfiel Anna in immer häufigeren Schüben, aber sie wollte durchhalten, so lange es ging.
Nach einiger Zeit pfiff Bisping leise durch die Zähne. Er hielt einen Flyer in seinen behandschuhten Fingern. »Hört euch das mal an: ›Wir werden über dem Atlantischen Ozean, wo er am tiefsten ist, die islamische Atombombe abwerfen, damit sie eine Flutwelle erzeugt, die so hoch ist, dass sie die Freiheitsstatue auf Liberty Island und sämtliche Wolkenkratzer Manhattans zerschmettert.‹«
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