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Sprengstoff

Sprengstoff

Titel: Sprengstoff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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der Party gehört, und sie gefiel ihm besser als die drei anderen, die er etwas schmalzig fand.
    Eine LP mit Crosby, Stills, Nash und Young fand er sogar so schmalzig, daß er sie über seinem Knie zerbrochen hatte.
    Aber Lei It Bleed war laut, anzüglich, kraftvoll. Eine einschla-gende, klirrende Musik, die er sehr gern mochte. Sie erinnerte ihn an ›Let’s Make a Deal‹, das Monte Hall einmal aufgenommen hatte. Im Augenblick sang Mick Jagger gerade: Wir brauchen alle jemanden zum Ausweinen, Und wenn du willst, kannst du dich bei mir ausweinen.  
    Er dachte über das Poster nach, das er in der Bank gesehen hatte. Die große, runde Erde, die aus dieser Perspektive so neuartig und anders wirkte, und darunter die Einladung an den Betrachter zu VERREISEN. Das erinnerte ihn an die Reise, die er am Silvesterabend unternommen hatte. Ja richtig, er war verreist. Sehr weit weg sogar.
    Und hatte er es nicht auch genossen?
    Der Gedanke ließ ihn einen Augenblick innehalten.
    Die letzten zwei Monate war er wie ein Hund herumgelaufen, dessen Schwanz in der Tür eingeklemmt worden ist.
    Aber hatte es unterwegs nicht auch einige Entschädigungen gegeben? Er hatte Dinge getan, die er sonst nie hätte tun können. Die Fahrten auf der Autobahn, so gedankenlos und frei wie der Flug der Zugvögel. Das Mädchen und der Sex, das Gefühl ihrer Brüste, die so ganz anders waren als die von Mary. Das Gespräch mit einem Mann, der ein Verbrecher war. Und endlich von diesem Mann akzeptiert und ernst genommen zu werden. Das verbotene Hochgefühl, als er seine Benzinbomben geworfen hatte, und das traumatische Entsetzen, das Gefühl, als würde er ertrinken, als sein Wagen nicht über den Straßenrand zu kommen schien, um ihn von der Baustelle wegzubringen. Das waren intensive Gefühle gewesen, die wie eine finstere antike Religion aus den tiefen Schichten seiner Angestelltenseele aufgestiegen waren, als hätte ein Archäologe sie vorsichtig freigelegt. Er wußte jetzt, was es hieß: am Leben zu sein.
    Aber es hatte auch schlimme Dinge gegeben. Zum Beispiel, daß er bei Handy Andy’s die Selbstbeherrschung verloren und Mary angeschrien hatte. Und die nagende Einsam-keit in den ersten zwei Wochen, in denen er allein gewesen war, zum ersten Mal seit zwanzig Jahren allein und nur den furchtbaren, quälenden Schlag des eigenen Herzens zur Gesellschaft. Dann der Schlag, den Vinnie Mason - ausgerechnet Vinnie Mason! - ihm im Kaufhaus aufs Auge verpaßt hatte. Die fürchterliche Angst, die er am Morgen, nachdem er die Baustelle bombardiert hatte, durchmachen mußte. Die blieb in seiner Erinnerung am stärksten. 
    Aber selbst diese Erfahrungen, so schlimm sie auch gewesen sein mochten, waren etwas Aufregendes, Neues gewesen, so wie der Gedanke, daß er wahnsinnig geworden sei oder wenigstens auf dem besten Weg dazu. Die Spuren, denen er während der letzten zwei Monate durch seine innere Landschaft nachgewandert (oder gekrochen?) war, waren die einzigen, die es gab. Er hatte sich selbst erforscht, und wenn auch das meiste, was er dabei herausgefunden hatte, banal war, so hatte er auch aufregende und schöne Dinge entdeckt.
    Seine Gedanken wanderten zu Olivia zurück, wie er sie mit ihrem Schild ›LAS VEGAS … ODER VERPISS DICH!‹ an der Auffahrtrampe zur Autobahn gesehen hatte, das sie trotzig der kalten Gleichgültigkeit ihrer Umwelt entgegenhielt. Und dann dachte er wieder an das Poster in der Bank: VERREISEN SIE. Warum eigentlich nicht? Hier gab es nichts, was ihn hielt, abgesehen von seiner ekelhaften Manie. Keine Frau und nur das Gespenst eines Kindes, keine Arbeit und nur ein Haus, das in anderthalb Wochen keins mehr sein würde. Er hatte eine Menge Bargeld und ein Auto, das ganz und gar ihm gehörte. Warum stieg er nicht einfach ein und fuhr los?
    Plötzlich erfaßte ihn Aufregung. Er sah sich schon alle Lichter im Haus ausschalten, in den LTD steigen und mit dem Geld in der Tasche nach Las Vegas abbrausen. Er würde Olivia suchen und »LASS UNS ABHAUEN« zu ihr sagen.
    Dann würden sie nach Kalifornien fahren, den Wagen verkaufen und eine Reise in die Südsee buchen. Von dort nach Hongkong, weiter nach Saigon, Bombay und nach Athen, Madrid, Paris, London, New York. Und dann …
    Hierher zurück?
    Die Welt war rund, und das war die furchtbare Wahrheit.
    So war es ja auch Olivia ergangen, die nach Nevada wollte, um endlich aus ihrer Scheiße rauszukommen. Und dann bekifft sie sich und läßt sich in der ersten Nacht auf dem neuen Gleis

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