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Sprengstoff

Sprengstoff

Titel: Sprengstoff Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Stephen King
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gefragt, ob das Balg nicht in Wirklichkeit ihr Sohn wäre. Oder Rin-Tin-Tin, der vom Fort Apache aus operierte. Sergeant Preston, der vom Yukon aus operierte - er hatte so eine Art Späheraufgabe. Range Rider mit Jock Mahoney. Wild Bill Hickok mit Guy Mason und Andy Fevine als Jingles. Mary hatte immer zu ihm gesagt, Bart, wenn die Leute wüßten, daß du dir all diese Sendungen ansiehst, würden sie dich für schwachsinnig halten. Ehrlich, ein Mann in deinem Alter! Aber er hatte ihr darauf immer geantwortet, ich will mich mal mit meinen Kindern unterhalten können, Kindchen. Nur, daß es dann keine Kinder gegeben hatte - keine richtigen. Das erste war bloß ein toter Klumpen gewesen, und das zweite war Charlie, an den er lieber nicht denken sollte. Wir sehen uns später, wenn ich träume, Charlie. Er und sein Sohn trafen sich jetzt fast jede Nacht in dem einen oder anderen Traum. Barton George Dawes und Charles Frederick Dawes, wiedervereint durch die Wunder des persönlichen Unterbewußtseins. Und hier sind wir wieder, liebe Freunde, auf geht’s zur neuesten Disney-World-Reise, ein Ausflug in das Land des Selbstmitleids. Sie können hier auf dem Kanal der Tränen gondeln, das Museum der Alten Schnappschüsse besuchen oder sich von Fred MacMurray in seinem wundervollen Nostalgiemobil durch die Gegend fahren lassen. Die letzte Station dieser Reise ist diese wunderbare Nachbildung der Crestallen Street West. Sie steckt gleich hier, in der Southern-Comfort-Flasche, wo sie für alle Zeiten aufbewahrt wird. Ja, so ist es richtig, Madam, Sie müssen den Kopf ein bißchen einziehen, wenn Sie durch den engen Hals schlüpfen, aber es wird gleich weiter. Und dies ist das Haus von Barton George Dawes, dem letzten Anwohner der Crestallen Street. Sie können gleich hier durchs Fenster gucken. Wart einen Augenblick, mein Sohn, ich heb’ dich gleich hoch. Ja, genau, da sehen Sie George, wie er in Unterhosen vor seinem Farbfernseher sitzt, einen Drink kippt und heult. Er heult? Natürlich, was sollte er im Land des Selbstmitleids denn sonst tun? Er heulte die ganze Zeit.
    Sein Tränenstrom wird von unserem WELTBERÜHMTEN
    INGENIEURSTEAM gesteuert. Am Montag tröpfelt es nur ein bißchen, da ist hier nicht soviel los. Aber an den anderen Wochentagen heult er so richtig los. An den Wochenenden fließt er richtig über, und zu Weihnachten spülen wir ihn vielleicht ganz weg. Sicher, er ist vielleicht ein bißchen abstoßend, aber er ist einer der meistgefragten Einwohner im Selbstmitleidsland, gemeinsam mit unserer King-Kong-Nachbildung, die Sie gleich hier auf der Spitze des Empire-State-Gebäudes sehen. Er …
    Er warf seinen Drink gegen den Fernseher.
    Aber er verfehlte ihn. Das Glas prallte gegen die Wand, fiel auf den Boden und zersplitterte. Er brach erneut in Tränen aus.
    Heulend dachte er: Seht mich an, seht mich doch an, Gott, was bin ich abscheulich. Ich bin ein solch verdammtes Arschloch, es ist kaum zu glauben. Ich hab’ mir mein ganzes Leben zerstört und Marys noch dazu, und jetzt sitze ich auch noch hier rum und reiße Witze darüber. Ich bin ein gräßlicher Abfallhaufen. Jesus, Jesus, Jesus …
    Er war schon auf dem halben Weg zum Telefon, als er sich gerade noch zurückhalten konnte. Gestern abend hatte erbetrunken und heulend bei Mary angerufen und sie angefleht zurückzukommen. Er hatte solange gebettelt, bis sie anfing zu weinen und den Hörer auflegte. Er grinste verlegen und wand sich in seinem Sessel, als er daran dachte. Wie hatte er sich nur so verdammt dämlich benehmen können. Richtig peinlich.
    Er ging in die Küche, holte sich Handfeger und Schaufel und ging damit ins Wohnzimmer zurück. Dort stellte er den Fernseher ab und fegte die Scherben auf. Er brachte sie leicht schwankend in die Küche und warf sie in den Mülleimer. Dann stand er da und fragte sich, was er als nächstes tun könnte.
    Er lauschte auf das insektenartige Brummen des Kühlschranks. Es machte ihm angst. Er ging ins Bett. Und er träumte.

6. Dezember 1973
    Es war halb vier Uhr nachmittags, und er raste mit hundert Sachen über die Autobahn nach Hause. Der Tag war strahlend klar und kalt, Temperaturen um den Gefrierpunkt. Er machte jetzt jeden Tag, seit Mary ihn verlassen hatte, einen Ausflug auf der Autobahn - es war so eine Art Ersatz für seine Arbeit geworden. Es beruhigte ihn. Wenn die Straße sich so unendlich vor ihm erstreckte, an beiden Seiten klar von den Schneewällen begrenzt, die die Räumfahrzeuge aufgehäuft

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