Spring in den Himmel
Tagebuch weg und versuchte, sich an all die Geschichten zu erinnern. Der Flugzeugabsturz, der sie zu Beginn ihrer Freundschaft so betroffen gemacht hatte. Der Artikel hatte nichts mit Yoyos Geschichte zu tun. War sie trotzdem wahr? Oder eiskalt gelogen? Sie wusste es nicht. Und sie hatte keine Lust mehr, neue Lügen und Halbwahrheiten darüber zu hören. Vor allem aber wollte sie sich nicht beschimpfen lassen.
Noch einmal rief sie Alexander an. Er kannte ihren Traum vom Medizinstudium. Er würde sie verstehen, da war sie sicher. Weil er wusste, dass ihre Eltern dagegen waren, dass sie selbst etwas dafür tun musste. Vielleicht könnte er ihr helfen, das Geld von Yoyo zurückzubekommen.
Sollte sie den Eltern die Wahrheit sagen über das Geld? Oder weiterhin schweigen in der Hoffnung, dass auch Yoyo dichthielt? Machte sie sich dadurch nichterst recht erpressbar? Über all das wollte sie mit Alexander sprechen. Er war ihr Freund, er würde sie nicht im Stich lassen. Er war für sie da.
Doch sie erreichte ihn nicht.
Sie musste mit irgendjemandem darüber reden. Sie wollte hören, dass sie nicht bescheuert war. Sie zog die Mailadresse dieser Pink heraus. Sicherlich auch nur ein Spitzname. Sollte sie sich auch einen solchen Namen zulegen? Nein, sie wollte offen und ehrlich an die Sache rangehen. Sie würde schreiben, was ihr passiert war – und ein Treffen ausmachen. Pink würde sie verstehen.
Hi Pink, ich heiße Jamina. Meine Freundin Sophia hat mir deine Mailadresse gegeben. Es geht um deine Geschichte … Können wir uns mal treffen?
Die Antwort kam eine Stunde später.
Morgen um vier im Café Glockenspiel am Marienplatz. Ist das okay? Ich leg meine Schullektüre auf den Tisch, daran kannst du mich erkennen. Wird wohl keiner außer mir ein gelbes Heftchen dabeihaben.
23. Kapitel
Das Café war voll. Dutzende von Gesprächen erfüllten den Raum, die Bedienungen drängten sich zwischen den einzelnen Tischchen durch, balancierten geschickt Tassen und Teller, Kaffee und Kuchen, Gläser und Flaschen, hier winkte noch einer und dort wollte jemand bezahlen. Einige Gäste saßen im stilleren, dunkleren Teil, wo die Bar war, andere draußen auf der kleinen Terrasse, denn es war ein herrlicher Frühsommertag.
Jamina stand da und ließ ihren Blick über die Tische schweifen. Ein Paar, das sich an den Händen hielt und die Augen nicht voneinander wenden konnte, selbst dann nicht, als die Bedienung zwei Kaffeetassen hinstellte. Da saß eine Frau allein, aber sie war zu alt, um Pink zu sein. Sie sah aus dem Fenster, genoss offenbar den Blick auf das Rathaus und das Glockenspiel, dem dieses Café seinen Namen verdankte. Hier ein Mann, der Zeitung las und mit seinen weit ausgebreiteten Armen die Leute am Nebentisch nervte. Dort unterhielten sich zwei Männer besonders laut über Computerkram. Und da saß eine junge Frau allein und blätterte in einer Modezeitschrift. Nein, kein gelbes Reclam-Heftchen.
Jamina schob sich durch die Stuhlreihen, ging auch in den Nebenraum, auf die Terrasse. Sie sah sich alle Leute genau an. Drei junge Typen fingen ihren Blick auf,einer erwiderte ihn lächelnd. Jamina wollte sich schon abwenden, aber er stand auf und kam auf sie zu. »Willst du dich nicht zu uns setzen?«
»Danke, ich warte auf jemanden.«
»Schade. Aber wenn er nicht kommt, darf ich dich dann einladen?«
Er sah nett aus, Jamina lächelte zurück. »Ich überleg's mir.«
Sie ging weiter, sah sich um. So etwas war ihr noch nie passiert. Eine Einladung von einem Fremden … Vielleicht hatte die Mutter recht und sie hatte sich wirklich verändert. Stand hier mitten im Raum und scherte sich nicht um die fragenden Blicke. Sah auf ihre Uhr. Eine Viertelstunde zu spät, stellte sie fest. Sollte sie sich einen freien Tisch suchen und warten? Oder war diese Pink nur eine Wichtigtuerin und würde sie versetzen?
Sie wollte gerade gehen, als ein Mädchen eilig hereinkam, sich hektisch umsah und dann das gelbe Heftchen aus der Tasche zog. Jamina lächelte.
»Du bist also Pink.«
»Ich heiße Hannah.«
Sie suchten sich einen kleinen Tisch im Eck und musterten sich verstohlen, während sich die Bedienung durch die engen Reihen einen Weg zu ihnen bahnte.
»Tut mir leid, dass du warten musstest. Aber die S-Bahn …«
»Schon klar, ich kenn das.«
»Wenn's wichtig ist, kommt sie immer zu spät.«
Jamina wollte nicht zugeben, dass sie schon am Gehen war. Sie musterte Hannah möglichst unauffällig.Halblange braune Haare, die ihr
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