Spring in den Himmel
Tag zuvor. Auch wenn sie es verhindern wollte, ihr Kopf kehrte immer wieder dahin zurück:
Je früher du aussteigst, desto besser für dich.
Aber Moo war nicht Yoyo, da war sie sicher. Hannah hatte gesagt, die Welt sei voll von solchen Menschen. Vielleicht hatte sie recht. Es würde nie mehr werden wie es früher war zwischen Yoyo und ihr. Schon gar nicht nach der Ohrfeige. Diese Freundschaft war vorbei. Doch wie würde es sein, wenn sie sich wiedersähen? Yoyo hatte sich nicht mehr gemeldet, aber damit hatte Jamina auch nicht gerechnet. Sie zwang sich, nicht mehr an Yoyo zu denken.
Es war ein so schöner Tag, dass es Jamina fast wehtat. Einer der Tage, die sie gerne mit Alexander verbracht hätte. Hier, auf dem Spielplatz. Oder im Englischen Garten. An der Isar. Es war völlig egal, wo. Es könnte auch ein Keller oder ein Abrisshaus sein. Hauptsache zusammen.
Der letzte Schultag vor den Pfingstferien. Warum hatte er keine Zeit, den Ferienbeginn mit ihr zu feiern? Die anderen aus ihrer Klasse hatten sich in einem Café verabredet, draußen sitzen, sich die Sonne ins Gesicht scheinen lassen. Sie hätte mitgehen können, hatte aber doch noch gehofft, Alexander würde es sich anders überlegen. Aber bisher hatte er nichts von sich hören lassen. Auch nicht auf ihre SMS mit der Frage, ob seine Erkältung weg war.
Jamina hörte das Kreischen der Kinder, die mahnenden und liebevollen Rufe der Mütter. Aber sie sah sie nicht, weil sie auf ihr Handy starrte. Keine neue Nachricht. Sie könnte schreiben, dass sie auf ihrem Spielplatz war, wo sie vor Kurzem noch auf der Schaukel gesessen hatten, dass sie an ihn dachte …
Jemand setzte sich neben sie. Jamina sah hoch und blickte in das Gesicht ihres Vaters, der sie anlächelte.
»Warum sitzt du hier so allein?«
»Ich wollte nachdenken.«
»Hier hast du früher oft gespielt, mit Alexander.«
Sie sah ihn überrascht an. Er lachte.
»Wollte er nicht mal zum Essen kommen – so wie früher, als ihr noch Kinder wart?«
»Er hat gerade ziemlich viel zu tun – Abitur.«
»Wenn er seinen Opa besucht, ist er doch sowieso da. Und essen muss jeder.«
Sie war nicht mehr sicher, ob Alexander gerne käme. Sie hatte ein komisches Gefühl. Er war ihr nicht mehr nah.
»Und was macht Yoyo?«
Jamina zuckte die Schultern.
»Keine Versöhnung nach dem Streit?«
Jamina wollte nicht zugeben, wie heftig die Auseinandersetzung gewesen war und dass sie noch lange nicht zur Versöhnung bereit war. Sie schüttelte nur den Kopf.
Sie schwiegen. Sahen auf die spielenden Kinder. Der Vater stand auf, nahm seine Tasche.
»Ich muss noch etwas besorgen. Deine Mutter ist mit Rafik einkaufen, er braucht eine neue Hose.«
Sie sagte nichts.
»Du siehst aus, als würdest du dich gar nicht auf die Ferien freuen.«
»Klar bin ich froh, dass ich nicht jeden Tag früh aufstehen und lernen muss.«
»Ich weiß, dass die meisten deiner Schulfreunde in Urlaub fahren. Und es tut mir leid, dass wir uns das nicht leisten können.«
Jamina sah zu ihm hoch und lächelte. »Das macht nichts.«
»Vielleicht hättest du besser wählen sollen, als du dir deine Eltern ausgesucht hast.«
»Hättet ihr denn eine andere Tochter gewollt?«
»Nein, auf gar keinen Fall. Niemals.«
Sie konnte nichts mit sich anfangen. Nichts war interessant, nichts machte Spaß. All das, was sie gerne tun wollte, wenn endlich mal Zeit war, es erschien auf einmal langweilig: Kino, schwimmen, Freunde treffen, shoppen … Ja, sie könnte doch noch zu den anderen ins Café gehen, vielleicht hatte Sophia Lust, mit ihrdurch die Stadt zu ziehen … Aber eine bleierne Niedergeschlagenheit hielt sie auf dieser Parkbank fest. Es fehlten die Menschen, die ihrem Leben Farbe gaben: Alexander und Yoyo.
Mehr und mehr war sie überzeugt, dass Alexander sich nur in sie verliebt hatte, weil es Yoyo gab. Die hatte sie lebendiger, mutiger, fröhlicher, spontaner gemacht und das hatte Alexander an ihr gefallen.
Wie Feuer und Wasser, so hatte er Yoyo und sie genannt. Es war nicht schwer zu erraten, wer das Feuer war. Was war Alexander? Wie könnte man ihre Beziehung beschreiben? Wasser und Erde? Wasser und Luft?
Nein, sie fand Alexander eher erdig. Fest auf dem Boden stehend, nicht so flirrend und unstet wie die Luft. Obwohl … im Moment entzog er sich ihr wie ein Lufthauch. Warum konnte sie nicht einfach glauben, dass er müde oder krank war?
Jamina ging nach Hause. Klingelte bei Herrn Kamke. Das Schlurfen im Flur, ein Klappern, ein
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