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Spring in den Himmel

Spring in den Himmel

Titel: Spring in den Himmel Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Lotte Kinskofer
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Nele?«
    »Ja, die war damals noch nicht mal vierzehn und ist einfach abgehauen.«
    »Warum?«
    »Gab halt Stress zu Hause, kennst du das nicht?«
    Jamina antwortete nicht. Sie hatte nie über Abhauen nachgedacht, aber vielleicht war das für andere normal.
    »Auf jeden Fall war diese Nele ein paar Tage verschwunden. Da hatten die Alten offenbar Streit zu Hause. Und dann ist die Mutter mit dem Auto auf gerader Strecke einfach seitlich raus und gegen einen Betonpfeiler.«
    Jamina blieb stehen und schnappte nach Luft.
    »Du meinst: Selbstmord?«
    »Kann man nicht beweisen, aber sieht doch ganz so aus, oder?«
    »Und das Mädchen?«
    »Haben sie einen Tag später gefunden. Bei den Punks am Stachus.«
    »Sie hat noch gar nicht gewusst, dass ihre Mutter tot ist …«
    »Nee, aber es heißt, dass sie völlig ausgeflippt ist.«
    »Wahrscheinlich gibt sie sich die Schuld am Tod der Mutter.«
    »Klar, ist ja auch so.«
    »Das darfst du nicht sagen.«
    »Die Eltern haben bestimmt gedacht, ihr wäre was Schlimmes passiert. Und das hat die Frau nicht ausgehalten. Also …«
    Jamina wollte auflegen, doch dann setzte sie noch mal nach: »Übrigens, Merlin. Danke.«
    »Hätte dir gern was Netteres erzählt.«
    In der Ferne sah sie den Eiswagen von Federico. Langsam ging sie näher. Es war, als könnte sie auf einmal alles viel, viel besser verstehen. Das Traurige, das Überdrehte, die Lebenslust und das Abtauchen, die Suche nach einer heilen Familie, die Freude am Risiko, die plötzlichen Sinneswandel, die Sehnsucht nach Nähe und das Wegstoßen, wenn man sich auf diese Freundschaft einließ.
    Auf einmal waren alle Lügen und Halbwahrheiten so einfach zu verstehen. Yoyo war ihr Leben auseinandergebrochen in dem Moment, als ihre Mutter gestorben war und sie sich dafür verantwortlich fühlte. Und es nicht wiedergutmachen konnte.
    Ich muss mit ihr reden, dachte Jamina. Ich muss ihr sagen, dass ich alles weiß. Dass ich nun verstehe, warum sie so oft durch den Wind ist. Dass mir nicht immer klar ist, warum sie was macht, aber ich weiß, was dahintersteckt.Dass sie mir vertrauen kann, alles anvertrauen kann. Dass ich für sie da bin.
    Jamina kaufte sich ein Schokoeis und ging weiter in Richtung Lehel. Da war es, das prachtvolle Haus, sehr repräsentativ, sehr gediegen. Unten das Schild des Anwalts. Im ersten Stock, hier musste Yoyo wohnen. Ob sie zu Hause war, ob sie aufmachen würde, wenn sie merkte, dass es Jamina war? Sie würde Geduld haben müssen. Yoyo würde vielleicht nicht gleich rausrücken mit der wahren Geschichte. Aber dafür waren Freundinnen doch da. Es war so ein Gefühl, als könnte sie, nur sie, Yoyo helfen. Als würde ihre Freundschaft über alles hinweghelfen.
    Sie wollte gerade die Straße überqueren, als die große Haustür aufging. Yoyo kam heraus, blond, mit einem langen Rock, wehender Bluse, lachend. Hinter ihr tauchte jemand auf, der ebenfalls lachte und die Arme um sie legte. Jamina glaubte, nicht richtig zu sehen. Denn Yoyo küsste den jungen Mann, er schob seine Hand in ihren Nacken, sie zog ihn an sich, so nah wie möglich. Alexander.

29. Kapitel
    Ihr Blick blieb wie gebannt an Alexander hängen.
    Was machte er hier?
    Was machte er mit Yoyo?
    Seit wann?
    Warum?
    Unendlich lange schien dieser Kuss zu dauern, er nahm kein Ende, immer näher schienen sie sich zu kommen, ineinander zu versinken, und sie, Jamina, konnte ihren Blick nicht abwenden.
    Völlig abstruse Gedanken schossen ihr durch den Kopf.
    Er gibt ihr Nachhilfe in Mathe.
    Aber er hat doch gar keine Zeit, er lernt fürs Abitur.
    Und sieht so Nachhilfe aus?
    Es ist nur ein freundschaftlicher Kuss zum Abschied.
    Was für ein Schwachsinn. Sie konnte doch mit eigenen Augen sehen …
    Wann hatte er sie so geküsst?
    Wann hatte das begonnen, was sie da sah?
    Warum hatte sie ihr nichts gesagt?
    Warum tat sie ihr das an?
    Warum tat er ihr das an?
    Warum taten sie es ihr immer noch an?Alexander, der nicht wollte, dass sie Yoyo nachspionierte.
    Alexander, der etwas über Freundschaft und Vertrauen gesagt hatte.
    Genau wie Yoyo, die auch meinte, Jamina würde ihr zu wenig vertrauen.
    Bezahlte sie jetzt für ihr Vertrauen? War sie zu naiv für diese Welt? Dass ausgerechnet diese beiden Menschen sie so betrogen?
    Nein, kein Mitgefühl mehr für Yoyo. Die vielleicht Schuldgefühle hatte wegen des Todes ihrer Mutter. Kein Wunder, dass die Mutter sich umgebracht hat. Sie sah doch jetzt, was sie anderen Menschen antat. Sie nahm ihr alles weg.
    Und Alexander …

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