Spring in den Himmel
Nele. Ungefähr so alt wie wir. Könnte also stimmen mit deiner WWW-Bekanntschaft.«
»Aber du hast so komisch reagiert …«
»Er sagt, ihre Mutter ist vor drei Jahren gestorben. Bei einem Verkehrsunfall.«
28. Kapitel
Kein Kino mit Merlin. Nicht jetzt. Sie wollte mehr wissen. Über Yoyo, Friederike und Nele, was die eine von der anderen unterschied, was sie gemeinsam hatten. Über diesen Verkehrsunfall, aus dem Yoyo in ihren Erzählungen einen Flugzeugabsturz gemacht hatte. Oder waren das völlig verschiedene Menschen und total unterschiedliche Geschichten? Sie wusste es nicht. Aber sie wollte es herausfinden.
Wahrheit und Lüge, Aufrichtigkeit und Übertreibung, das alles lag so nah beieinander. Wie sollte Jamina sich da überhaupt noch zurechtfinden? Wie oft hatte Yoyo von Vertrauen gesprochen? Was war ihre Freundschaft wert, wenn selbst diese Geschichte, die sie mit einem Zeitungsausschnitt zu belegen versucht hatte, nicht stimmte?
»Also kein Kino«, sagte Merlin enttäuscht, als sie sich vor dem Café verabschiedeten. »Hab's mir fast schon gedacht.«
Er rührte mit seinem linken Fuß in einer Pfütze und sah Jamina traurig an. Nicht mehr der coole Held mit dem superneuen Handy, der Typ, auf den die Mädels stehen. Merlin sah eher aus wie ein kleiner Junge, der gerade ausgeschimpft worden war. Die Augenbrauenzusammengezogen, der Blick darunter enttäuscht, die Mundwinkel leicht nach unten gezogen.
»Wir holen das nach«, versprach Jamina und wusste selbst nicht, warum sie das sagte.
»Gehen wir dann zu zweit oder nehmen wir die halbe Klasse mit?«
»Mit der Clique macht's doch viel mehr Spaß«, behauptete Jamina, und Merlin zog zwar die Mundwinkel nach oben, aber heiterer sah das nicht aus.
»Schon verstanden.« Dann wandte er sich ab und ging, nicht ohne noch einmal die Hand zu heben.
»Hasta la vista, baby.«
»Danke, Merlin. Und schönen Urlaub.«
Er verschwand um die Ecke, ohne sich noch einmal umzudrehen.
Jamina ging die Schellingstraße hinunter, Dutzende von Cafés, einige Buchhandlungen, Modegeschäfte. Sie drängte sich vorbei an den vielen Passanten, sie wich Radfahrern auf dem Bürgersteig aus und einer Gruppe Studenten, die gerade lärmend aus einem Gebäude strömten.
Irgendwie hatte sie immer noch Zweifel. Vielleicht war alles ganz anders. Vielleicht war Yoyo wirklich Friederike Heidenbach und nicht Nele Broderkampp. Und ihre Mutter war tatsächlich bei einem Flugzeugabsturz ums Leben gekommen und nicht bei einem Autounfall. Und ihr Vater war wirklich Banker und nicht Anwalt für Steuersünder. Sie wünschte sich so sehr, Yoyos Erzählungen wären wahr. Aber alles sprach dagegen.
So fühlt es sich also an, wenn man die Realität nicht sehen will. Wenn man das Leben frisiert, bis es ganz anders aussieht. So tut, als ob bestimmte Dinge nicht passiert wären. Oder sie anders erzählt und irgendwann selbst die neue Version glaubt. Vielleicht aber hatte Yoyo einfach nur Spaß daran, andere Leute anzulügen, ihnen etwas vorzumachen, ihre Geschichten aufzubauschen, das Mitleid zu genießen. Sie manipulierte Menschen wie zum Beispiel Jamina. Hatte witzige Ideen, spielte die tolle Freundin, war großzügig – und auf einmal wieder weg. Ließ sie nicht in ihr Leben hinein, machte sich selbst aber ungeniert in anderen Leben breit.
Yoyo war eine Lügnerin. Anders konnte man das nicht nennen. Sie spielte mit Menschen wie mit Marionetten. Alle sollten nach ihrer Pfeife tanzen. Zeit haben, wenn sie Zeit hatte. Spaß haben, wenn sie Spaß wollte. Sie in Ruhe lassen, wenn sie niemanden sehen wollte.
Jamina ging noch einmal in Gedanken einzelne Geschichten durch, während sie in Richtung Englischer Garten weiterlief.
Der Flugzeugabsturz war also eine Lüge.
War der Tod der Oma denn wahr?
Die Zeit bei Onkel und Tante, im Internat – stimmte das?
War sie wirklich so einsam und auf sich selbst gestellt, wie sie immer behauptete?
Vermisste sie niemand, wenn sie tagelang bei ihrer, Jaminas, Familie war?
Das Klingeln ihres Handys riss sie aus den Gedanken.
»Ich bin's noch mal, Merlin.«
»Oh – hi.«
Jamina wusste nicht recht, was sie sagen sollte.
»Ich hab selber noch ein bisschen weiterrecherchiert wegen dieser Broderkampp-Geschichte. Dachte, das interessiert dich …«
»Du musst das nicht machen!«
»Wie wär's mit: Danke, find ich super!«
»Jetzt leg schon los.«
»Es ist so«, erklärte Merlin. »Die Geschichte ging durch alle Boulevardzeitungen. Das Mädchen …«
»Diese
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