Spritzenmäßig: Kurioses, Krasses und Komisches aus der Notaufnahme
ähnlich hoch ist wie in Deutschland (der amerikanische Mann liegt im Schnitt bei einem Body-Mass-Index von 28, der deutsche bei 27), so sind die Auswüchse nach oben doch ganz andere.
Für alle, die sich mit dem Thema nicht auskennen: Wer einen Body-Mass-Index über 25 hat, gilt als zu dick, wer bei über 30 liegt, gilt als fettleibig.
Nun gibt es in den USA einen Haufen Menschen, die einen Body-Mass-Index von 60 und mehr haben. Der höchste mir bekannte lag bei 110 â bei einem 360-Kilo-Patienten. Wer einmal auf dem Flughafen in Miami war und die zahlreichen Fluggäste gesehen hat, die mit Golfwägelchen durch den Terminal gefahren werden, weil sie zu dick sind, um zehn Schritte zu gehen, der weiÃ, wovon ich spreche. 200-Kilo-Menschen sind in den USA beim besten Willen keine Seltenheit â bei uns hingegen schon. Dort drüben lebt eine ganze Industrie davon, sich der Mega-Dicken anzunehmen, selbst XXL -Särge gibt es mittlerweile zu kaufen.
Von diesen Szenarien sind wir in Deutschland zum Glück noch weit entfernt â was meinen kleinen, dünnen Chef allerdings nicht weiter interessierte. Wahrscheinlich sind aus seiner Perspektive so ziemlich alle Menschen dick.
Wir Schwestern und Pfleger setzten unsere intramuskulären Spritzen von diesem Tag an in den Oberarm. Wenigstens blieb uns seitdem der Anblick unzähliger Popos erspart â was durchaus von Vorteil sein kann.
***
Doch nicht nur unser Chefarzt konnte übertrieben auf wissenschaftliche Studien reagieren.
Es war drei Uhr nachts, als es aufgeregt an der Tür der Notaufnahme klopfte. Beim Ãffnen schlug mir die kalte Winterluft entgegen. Es war Februar, die Temperaturen lagen weit unter null Grad.
Vor der Tür stand ein Mann um die fünfzig, der mich aus rotumränderten Augen verzweifelt ansah. Er hatte tiefe Schatten unter den Augen und sah so aus, als habe er seit Tagen nicht mehr geschlafen. Mit dieser Vermutung lag ich richtig.
»Bitte, helfen Sie mir, ich kann nicht mehr â¦Â«, stöhnte er, und natürlich lieà ich den Mann sofort rein.
Besorgt begleitete ich ihn zu einem Stuhl, auf dem er sich völlig ermattet niederlieÃ.
»Was ist mit Ihnen?«
»Ich kann nicht mehr, ich kann nicht mehr â¦Â«, jammerte er verzweifelt.
»Jetzt beruhigen Sie sich erst mal. Was ist denn los? Haben Sie Schmerzen?«
»Ich weià nicht, wann ich das letzte Mal geschlafen habe ⦠ich fühle mich wie ein Zombie ⦠ich glaube, ich bin seit Tagen wach ⦠ich kann nicht mehr â¦Â«
Verzweifelt vergrub er sein Gesicht in den Händen und begann zu schluchzen. Was war nur mit ihm los?
»Versuchen Sie, sich zu beruhigen«, sagte ich. »Sie müssen mir beschreiben, was los ist, sonst können wir Ihnen nicht helfen. Haben Sie Schmerzen?«
»Ja ⦠auch â¦Â«
»Auch? Was heiÃt auch?«
»Die Atmung â¦Â«
Er schnappte nach Luft.
»Die Atmung will nicht mehr â¦Â«
Bei Problemen mit der Atmung müssen wir Schwestern sofort einen Arzt hinzuziehen. Ein Lungenödem beispielweise ist von auÃen schwer zu erkennen und kann innerhalb kürzester Zeit zum Tode führen, wenn es nicht sofort behandelt wird.
Ich glaubte zwar nicht, dass der Mann ein solches Ãdem hatte, konnte es natürlich aber auch nicht ausschlieÃen.
Bevor ich die Personalien des Mannes aufnahm, rief ich also zur Sicherheit Dr. Alma A. an, die seit einer Stunde im Ãrztezimmer schlief. Die arme Frau Doktor bekam letzter Zeit auch kaum noch Schlaf, ein Schicksal, das viele Ãrzte und Schwestern teilen.
Mit kleinen Augen und verwuscheltem Haar kam Dr. A im Laufschritt herbeigeeilt.
»Beschreiben Sie mir noch mal genau, wo das Problem beim Atmen liegt«, wies sie den Patienten an.
»Zu wenig Luft«, stöhnte der Mann. »Ich kriege einfach zu wenig Luft in meine Lungen.«
»Immer? Bei jedem Atemzug? Oder gibt es da Unterschiede?«
»Durch die Nase geht es gar nicht. Nur wenn ich mit dem Mund ganz offen atme, geht es einigermaÃen. Aber davon wird mein Hals ganz trocken ⦠es ist nicht auszuhalten ⦠ich kann überhaupt nicht mehr schlafen â¦Â«
»Und wo haben Sie die Schmerzen?«
»Hier.«
Der Mann zeigte auf seine gerötete Nase.
»Hier ist alles ganz wund.«
»Okay. Aber abgesehen von der Nase? Haben Sie Stiche in der Brustgegend?«
»Nein. Nur die Nase tut weh.«
Dr. A.
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