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Spür die Angst

Spür die Angst

Titel: Spür die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lapidus
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JW kam sich wie ein Fremder vor. Das Durcheinander seiner Gefühle irritierte ihn – Verachtung vermischt mit Geborgenheit.
    Margareta streckte sich nach dem Salat. »Erzähl doch ein wenig, Johan. Wie geht es dir?«
    Mehrere Sekunden Stille. Ihr brannten eigentlich ganz andere Fragen unter den Nägeln: Wie geht es dir in Stockholm? Die Stadt, in der unsere Tochter verschwunden ist. Mit welchen Leuten umgibst du dich? Du bist doch nicht in schlechte Gesellschaft geraten? Fragen, die sie niemals direkt stellen würde. Angst, erinnert zu werden. Angst, den dunklen Fängen der Wirklichkeit zu nahe zu kommen.
    »Mir geht’s gut, Mama. Hab alle Klausuren bestanden. Zuletzt hatte ich eine in Nationalökonomie. Wir sind über dreihundert Studenten in den Vorlesungen. Und es gibt nur einen Vorlesungssaal, in den wir alle hineinpassen.«
    »Oha. Seid ihr so viele? Spricht der Professor dann durch ein Mikrophon?«
    Bengt mit durchgekauter grauer Fleischmasse im Mund: »Natürlich tut er das, Mama.«
    »Ja, sie benutzen Mikrophone. Und es ist außerdem ziemlich lustig, denn sie projizieren jede Menge Grafiken und Kurven an die Wand. Ihr müsst wissen, auf einem perfekten Markt entsteht genau an dem Punkt der Preis, wo die Kurve der Nachfrage auf die Kurve des Angebots trifft. Alle Studenten zeichnen jede Grafik in ihrem Notizblock nach, und weil es sich um so viele verschiedene Kurven handelt, haben sich alle vierfarbige Bics zugelegt, ihr wisst, diese Marker mit vier unterschiedlichen Farben, um die Kurven unterscheiden zu können. Wenn der Professor dann eine weitere Kurve zeichnet, wechseln dreihundert Studenten gleichzeitig die Farbe. Ein leises klickendes Geräusch bei jedem. Das gibt ein Geklapper im ganzen Vorlesungssaal, sag ich euch.«
    Bengt grinste.
    Margareta lachte.
    Kontakt.
    Sie unterhielten sich weiter. JW fragte nach seinen alten Klassenkameraden aus Robertsfors. Sechs Mädchen waren inzwischen Mutter geworden. Einer der Jungen Vater. JW wusste, dass Margareta wissen wollte, ob er eine Freundin hätte. Er sagte jedoch nichts. Er wusste es ja selbst nicht einmal.
    Eine Art Ruhe überkam ihn. Ein warmes, geborgenes, leicht bedrückendes Gefühl.
     
    Nach dem Abendessen fragte Bengt, ob er mit ihm gemeinsam die Sportnachrichten gucken wollte. JW wusste, dass es seine Art war, eine gewisse Nähe zu seinem Sohn herzustellen. Und dennoch lehnte er ab, wollte sich lieber mit seiner Mutter unterhalten. Bengt ging allein ins Wohnzimmer. Setzte sich in den drehbaren Sessel mit zugehörigem Fußteil. JW konnte ihn von der Küche aus sehen. Blieb selbst dort sitzen und unterhielt sich mit Margareta.
    Camillas Name war bisher noch nicht gefallen. JW schiss darauf, ob er ein Tabu brach. Für ihn waren seine Eltern die Einzigen, mit denen er sich vorstellen konnte, über sie zu reden.
    »Habt ihr etwas gehört?«
    Margareta wusste, was er meinte.
    »Nein, nichts Neues. Meinst du, dass der Fall noch auf ihrem Tisch liegt?«
    JW war sich sicher, dass er im Moment zumindest noch dort lag. Aber auch er hatte nichts gehört.
    »Ich weiß nicht, Mama. Habt ihr in Camillas Zimmer etwas verändert?«
    »Nein, es ist alles noch so wie damals. Wir gehen nicht hinein. Papa meint, dass es Camilla sicher eine Art Ruhe vermitteln wird, wenn er sich dort nicht breitmacht.« Margareta lächelte.
    Bengt und Camilla hatten in dem Jahr, bevor Camilla nach Stockholm zog, heftige Streitereien gehabt. Jetzt dachte JW mit gewisser Nostalgie daran zurück: zuknallende Türen, Schluchzen aus dem Bad, Geschrei aus Camillas Zimmer, Bengt auf dem Balkon mit einer Gula Blend zwischen den Fingern – die einzige Situation, in der er rauchte. Möglicherweise dachte Margareta dasselbe. Die unglückseligen Streitereien waren ihre letzten Erinnerungen an Camilla.
    JW nahm sich ein Stückchen Heidelbeerkuchen. Warf einen Blick auf seinen Vater im Wohnzimmer.
    »Sollen wir uns zu Papa setzen?«
     
    Sie schauten sich gemeinsam den Dienstagsfilm auf TV 4 an:
Viel Lärm um nichts.
Moderne Shakespeare-Interpretation mit Originaltext. Schwer verständlich. JW döste schon während der ersten Hälfte fast ein. Während der zweiten überlegte er, wie hoch die Einnahmen wohl gewesen wären, die ihm am kommenden Wochenende durch die Lappen gehen würden. Shit, es war ein teures Unterfangen, seine Eltern zu besuchen.
    Bengt schlief ein.
    Margareta weckte ihn.
    Sie sagten gute Nacht. Gingen hinauf ins Schlafzimmer.
    JW saß noch eine Weile allein da. Bereitete sich

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