Spür die Angst
gleiten. Vier unverschämt attraktive Mädels, bekleidet mit Tops, die mehr zeigten, als sie verdeckten. Farben wie Rosa, Lila und Türkis dominierten. Alle mit Push-up- BH s oder Silikoneinlagen, engen Bluejeans oder kurzen Röcken.
Zeig dich jetzt, verdammt, JW – zeig Interesse.
Nippe saß bereits am Tisch und hielt eines der Mädchen im Arm. Machte ihr Komplimente, riss Witze, schaute ihr tief in die Augen. JW dachte: Die Wievielte sie wohl heute Abend war? Er konnte doch, zum Teufel, nicht schon eine vor ihr gehabt haben.
JW setzte sich. Auf dem Tisch stand ein sogenanntes Maklertablett: ein Sektkühler, in dem eine große Flasche Wodka und diverse kleine Flaschen mit Schweppes Tonic, Ginger Ale, Soda und Russian auf Eis standen. JW fühlte sich in seiner Grundauffassung bestätigt – man trinkt entweder Mixgetränke oder Schampus. Kein Bier.
Bei der lauten Musik war es schwer, Konversation zu betreiben. Sophie goss ihm einen Wodka-Soda ein. JW nippte, rührte um, griff sich schließlich mit den Fingern einen Eiswürfel und steckte ihn in den Mund. Sog heftig an ihm. Sophie schaute ihn an, sie nippte ebenfalls an ihrem Drink.
Er ging im Geiste noch einmal Abdulkarims Rat durch. Beginne immer damit, gratis auszuteilen. Mach dir Freunde, indem du großzügig bist; Freunde, die Cola mögen. Freunde, die Cash oder wiederum andere Freunde mit Cash haben. Achte darauf, dass die Leute so wenig wie möglich im Lokal konsumieren – das ist ein unsicheres Terrain. Geh stattdessen zu kleinen privaten Feiern nach dem eigentlichen Fest. Richte selber Privatpartys aus. Biete auch allgemein bekannten Gästen oder Promis etwas an. Nimm den Rest mit nach Hause. Verkaufe am Anfang nicht zu große Mengen – du willst ja keinen Markt aus zweiter Hand bilden.
Nippe beugte sich ein wenig vor und begann sich mit Sophie zu unterhalten. JW hörte nicht, was sie redeten. Er genoss stattdessen seinen Rausch, knöpfte einen weiteren Hemdknopf auf und trank schluckweise von seinem Drink. Spürte, dass seine Präsenz scharf wie eine Mach- 3 -Rasierklinge von Gillette war.
JW hatte sich natürlich auch eigene Gedanken gemacht. Er würde niemals zu viel bei sich tragen, denn falls sie ihn drankriegten, würde er behaupten können, dass er es nur für den eigenen Bedarf nutzte. Den Rest versteckte er an verschiedenen sorgfältig ausgewählten Orten. Und wenn er alles verkauft hatte – nach Hause und Nachschub holen. Kein Problem, denn Stureplan lag unweit vom Tessinpark. Noch wichtiger: den Freunden Honig um den Bart zu schmieren, so dass sie nicht auf die Idee kamen, zu hinterfragen, warum immer er es war, der für Stoff sorgte.
Sophie beugte sich vor und berührte JW s Ohr mit ihren Lippen. Ein wohliger Schauer durchfuhr ihn.
Sie fragte geradeheraus: »Nippe hat gesagt, dass du Charlie hast. Können wir nicht auch ein bisschen probieren?«
Tief in seinem Inneren dankte JW Nippe. Das hier war doch mal ein Auftakt. Spiel jetzt bloß die richtige Karte und mach kein großes Trara darum.
Er antwortete: »Ja klar, ich hab noch ein wenig über. Sag doch deiner Freundin Anna Bescheid, dann gehen wir kurz rüber in den Park.«
Sie hielten sich erneut an den Händen und bahnten sich einen Weg durch das Gedrängel. Vorbei am Snobkollektiv, den Silikonbräuten, den Typen von der Jugomafia und den Börsenmaklern.
Die Eurodiscomusik dröhnte weiter.
Sie gingen in Richtung Ausgang. Die Kassen am Eingang heillos überfüllt. Jetset-Carl war vor Ort und überwachte das Geschehen. Aber seine eigentliche, viel wichtigere Aufgabe war es zu umarmen, zu lächeln, die Leute einander vorzustellen, Smalltalk zu halten, Scherze zu machen und zu flirten. Jetset-Calle hatte den Überblick. Jetset-Calle hatte Stil. Das Geld strömte nur so herein. JW merkte sich im Stillen: Dieser Typ könnte ein guter Kontakt für die Zukunft werden.
Er ging auf ihn zu. Stellte sich mit Sophie und ihrer Freundin Anna an jeweils einer Seite vor ihn und streckte die Hand aus. Jetset-Carl hob die Augenbrauen. »Und du bist …?« JW war vorbereitet. Antwortete: »Der Freund von Nippe Creutz, du weißt schon.«
JW meinte, in seinen Augen eine Spur des Wiedererkennens zu sehen. Aber vielleicht war es kein echtes Wiedererkennen. Denn eine der wichtigsten Fähigkeiten Carls war ohne Zweifel, dass sich die Leute willkommen und freundlich aufgenommen fühlten, auch ohne dass er sich an sie erinnerte oder gar eine Ahnung davon hatte, wer sie waren. Manche nannten das
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