Spür die Angst
Risiko, dass irgendein Penner ihn wiedererkannte, wurde größer. Außerdem: Nach vierzehn Tagen stellte die Herberge fünfhundert Kronen pro Nacht in Rechnung, anstelle von zweihundert. Es gab keine Gerechtigkeit. Das Ersparte des Fixers würde langsam zur Neige gehen. Der Sozialarbeiter würde misstrauisch werden.
Er hatte noch keine Möglichkeit gehabt, Geld aufzutreiben, um seinen Cousin Sergio oder den Ex-Aufseher Walter auszubezahlen. Eine Schande.
Die Lage spitzte sich zu.
Dunkle, angsteinflößende Gedanken. Psychisch nicht gerade der Hit.
Null Lauftraining. Miese Kondition. Physisch nicht gerade der Hit.
So hatte er sich die Freiheit nicht vorgestellt.
Er musste irgendwo Geld auftreiben.
War jetzt einen Monat draußen. An und für sich nicht schlecht. Besser als viele andere. Aber eben auch kein voller Erfolg. Was hatte er erwartet? Dass eine Gesichtsoperation, ein Pass und ein Haufen Bares gratis zu haben wären? Dass er unter seinem Kopfkissen in der Nachteule ein Kilo Koks finden würde? Dass seine Schwester ihn anrufen und ihm sagen würde, dass sie ein Zugticket nach Barcelona besorgt hätte und ihm vorübergehend den Pass ihres Freundes überlassen würde? Die große Chance.
Sergio hatte viel riskiert. Jorge hatte seit dem Tag, an dem er bei Eddie ausgezogen war, nichts mehr von ihm gehört. Sich nicht getraut, ihn zu kontaktieren. Langsam machte sich sein schlechtes Gewissen bemerkbar. Er musste ihm das Geld zurückgeben. Aber was sollte er tun?
Was ZUM TEUFEL sollte er tun?
Er glaubte nicht, dass die Bullen noch mit höchster Priorität nach ihm suchten. In ihren Augen war er ein armseliger, ungefährlicher kleiner Fixer. Die Priorität bei Bankräubern, die Sicherheitstransporte überfallen hatten, Vergewaltigern und anderen Gewaltverbrechern war bedeutend höher. Sein Glück: Er hatte bei seiner Flucht keine Gewalt angewendet. Und dennoch: Das Leben auf der Flucht war nicht leicht. Die Lösung lag einzig und allein in Cash.
Der Gedanke an Radovan. Er hatte noch ein Ass im Ärmel.
Er wollte es nicht auf Teufel komm raus ausnutzen. Hatte in den Nächten in der Herberge oft wachgelegen und darüber nachgedacht. Die Laken zerwühlt. Geschwitzt. Fühlte sich an die Nächte vor der Flucht erinnert. Obwohl es jetzt irgendwie noch schlimmer war. Damals konnte es nur klappen oder eben nicht. Jetzt hingegen konnte er scheitern oder eben ganz erbärmlich scheitern. Und dennoch hatte er die Hoffnung nicht aufgegeben. Vielleicht würde es ja funktionieren.
Die Idee: Jorge hatte früher für Radovans Organisation gearbeitet. Wusste Dinge, von denen sie nicht wollten, dass sie an die Oberfläche gelangten. Vor allem aber waren sie sich nicht hundertprozentig im Klaren, wie viel Jorge wusste. Er könnte ihnen ein wenig Angst einjagen. Hatte das Spielchen im Knast gelernt; die Klappe zu halten war immer eine Gegenleistung wert. Die Jugos würden bestimmt gewillt sein, dafür etwas springen zu lassen.
An R war nur schwer heranzukommen. Keiner konnte oder wollte seine private Telefon- oder Handynummer rausgeben.
Den Jugoboss konnte man einfach nicht erreichen.
Radovans Handlanger Mrado, dieser Verräter, der ihn mit seiner Zeugenaussage in die Scheiße geritten hatte, würde sich allerdings auch anbieten. Jorge machte sich auf die Suche nach ihm.
Schließlich gab ihm ein alter Dealerkumpel in Märsta die Handynummer von Mrado. Mrado war zwar nicht Radovan, aber sein nächster Mann, an den er rankommen konnte. Das musste reichen.
Er rief ihn aus einer Telefonzelle an der U-Bahn-Station Östermalmstorg an.
Seine Finger zitterten, als er die Nummer wählte.
Er erkannte Mrados Stimme sofort wieder. Dunkel. Bedächtig. Brutal.
Schiss sich fast in die Hose. Riss sich zusammen. »Hallo, Mrado. Hier ist Jorge. Jorge Salinas Barrio.«
Es blieb eine Weile still. Dann räusperte Mrado sich. »Jorge. Wie schön, deine Stimme zu hören. Wie ist denn das Leben draußen so?«
»Quatsch nicht rum. Ihr habt mich vor zwei Jahren ganz schön auffliegen lassen. Dein blödes Gelaber im Gericht war ziemlich daneben. Aber ich bin bereit, euch einen kleinen Deal vorzuschlagen.«
»Oha, du gehst aber hart zur Sache. Um was geht’s denn?«
Jorge ließ sich nicht provozieren. »Du weiß, um was es geht, Mrado. Ich hab dir und Radovan die ganze Zeit den Rücken freigehalten. Und ihr habt mich eiskalt hochgehen lassen. Ihr seid mir noch was schuldig.«
»Aha.« Mrado klang sarkastisch: »Dann müssen wir wohl
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