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Spür die Angst

Spür die Angst

Titel: Spür die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lapidus
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Träume zu Ende. Er lag auf einer Matratze auf dem Boden, die er aus einem der Betten gezogen hatte. Dadurch verringerte er das Risiko, von draußen gesehen zu werden. Doppelte Sicherheit – vor dem Fenster wuchsen hohe Büsche und erschwerten die Einsicht.
    Insgesamt hatte er jetzt sechs Tage in der Hütte verbracht. Langweilte sich zu Tode. Bald würde er den Jugo anrufen. Und dann,
adios amigos,
das Land so schnell wie möglich verlassen.
    Er rollte sich zusammen. Schaffte es nicht aufzustehen. Die Langeweile machte ihn müde. Er dachte an Rodriguez. Eines Tages würde Jorge-Boy zurückkommen. Ihm die Fresse polieren. Ihn auf die Knie zwingen. Ihn zwingen, Mama die Füße zu küssen. Zu heulen. Zu kriechen. Zu wimmern.
    Vielleicht war er dumm gewesen. Unvorsichtig. Zum Beispiel, als ihm gestern die Lebensmittel ausgegangen waren. Er war raus auf den Weg gegangen. Ihm gefolgt, bis er in einen breiteren, ausgebauten Weg mündete. Weitergegangen. Hatte Wasser gesehen. Leute, die ihre Boote an Land holten. Goldene Herbstidylle. Circa anderthalb Stunden. Ein Lebensmittelladen, ICA Nygrens. War reingegangen.
    Er war sich noch nie so schwarz vorgekommen wie in diesem arischen Nationalgeschäft mit seinem Schwedendünkel. Der Einwanderer als absoluter Kontrast. Keiner sagte etwas. Keiner schien sich um ihn zu scheren. Aber Jorge,
el negrito,
kam sich vor, als würde er gelyncht werden, in die giftige Farbe für die Imprägnierung der Bootsrümpfe getaucht und dann in Müsli gerollt.
    Er kaufte Spaghetti, Chips, Brot, gesprenkelte Wurst, Eier, Butter und Leichtbier. Handwaschmittel und Haarfärbemittel. Bezahlte in bar. Bedankte sich nicht bei der Kassiererin. Nickte nur. Hatte den Eindruck, dass alle ihn anstarrten. Ihn hassten. Einzig im Sinn hatten, ihn bei den Bullen anzuzeigen.
    Schon auf dem Weg aus dem Laden raus kam er sich dämlich vor. Er versuchte, sich einen Weg durch den Wald zu bahnen. Es funktionierte nicht. Er lief geradewegs auf private Grundstücke und Höfe zu. Bekam es mit der Angst zu tun, weil die Leute zu Hause sein könnten. Misstrauisch werden. Die Fassung verlieren. Den Neger bei der Polizei anzeigen könnten. Er ging wieder zurück auf den ausgebauten Weg. Hoffte, dass ihn, den Ausreißer, keiner beachten würde.
     
    Jorge briet sich zwei Spiegeleier. Schnitt fünf Scheiben dunkles Brot auf. Belegte sie mit Wurst. Trank Wasser dazu. Im Spülbecken türmte sich ein Berg von Tellern und Besteck auf. Warum sollte er sich um den Abwasch kümmern? Das konnten die Eigentümer später gern übernehmen.
    Er setzte sich an den Küchentisch. Aß die Brote schnell auf. Fingerte an der Tischplatte herum. Fragte sich, ob die Hütte armen Leuten gehörte oder ob sie bewusst einen alten Tisch dort hingestellt hatten.
    Da: ein Geräusch außerhalb des Hauses. Jorges Ohren weit aufgesperrt.
    Er hörte eine Stimme.
    Duckte sich.
    Glitt vom Stuhl hinunter auf den Boden.
    Legte sich flach auf den Bauch.
    Kroch in Richtung Fenster. Wenn jemand auf dem Weg ins Haus war, war er höchstwahrscheinlich geliefert. Wenn es die Bullen waren – war er definitiv geliefert.
    Mist, dass er nicht vorbereitet war. Keine Sachen gepackt hatte. Seine Kleidung, das Haarfärbemittel, Lebensmittel, Waschzeug – alles in dem Zimmer verteilt, in dem er schlief. Dämlack. Wenn er jetzt gezwungen wäre zu rennen, würde er nichts von allem mitnehmen können.
    Er versuchte, aus dem Fenster zu spähen. Konnte niemanden entdecken. Nur den friedlich daliegenden Garten, umgeben von gestutzten Weißdornhecken und zwei Ahornbäumen. Da war die Stimme wieder. Es klang, als käme sie von der Auffahrt zum Haus. Gebückt kroch er zu einem der anderen Fenster. Durch den Flur. Die breiten Holzdielen knarrten. Verdammt. Er traute sich nicht, aus dem Fenster zu gucken. Man konnte ihn möglicherweise von draußen sehen. Er horchte noch einmal. Hörte noch eine weitere Stimme, jetzt etwas näher dran, aber nicht direkt vor dem Haus. Mindestens zwei Personen, die miteinander sprachen. Waren es etwa die Bullen oder irgendwer anders?
    Er horchte erneut. Die eine Stimme schien einen leichten Akzent zu haben.
    Er spähte vorsichtig hinaus. Kein Auto geparkt. Er sah niemanden. Schaute den Weg hinauf, der am Haus vorbei zu einer dunkelroten Scheune hinter dem Garten führte. Da. Drei Personen kamen auf das Haus zu.
    Jorge überlegte in Sekundenschnelle – fast forward. Wog die Vorteile gegen die Risiken ab. Die Hütte war gut. Warm, relativ sichtgeschützt,

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