Spür die Angst
weicher Stimme: »Ich bin ein Rocker aus dem Weltraum.« Die Geburtstagsgesellschaft grölte vor Begeisterung.
Mrado schaltete ab. Er war müde, hatte in der vergangenen Nacht schlechter geschlafen als in einem Schützengraben in Bosnien.
Versuchte nachzudenken. Zu strukturieren. Analysieren. Anhaltspunkte zu finden. Vor sich auf dem Tisch: ein Notizblock. Er notierte seine Fragen in einer Spalte links auf dem Papier. Wo hatte Jorge sich aufgehalten? Wohin war er geflohen? Wer konnte wissen, wo er jetzt war? Schrieb mögliche Antworten rechts in eine andere Spalte. Der Latino hatte einen Pass verlangt, das Telefonat kam aus einer schwedischen Telefonzelle. Schlussfolgerung: Jorge hatte das Land nicht verlassen.
Jorge musste die Planung größtenteils allein durchgezogen haben. Also war er ohne sonderlich viele Helfer auf der Flucht. Er versteckte sich nicht bei seiner Schwester und wahrscheinlich auch nicht bei seiner Mutter. Wenn er sich in der Gegend von Sollentuna befand, dann in irgendeinem Gebäude. Er konnte außerdem nicht gerade viel Geld bei sich haben. Wie sich Mrado erinnerte, war der Kanake blank wie ein frisch geputztes Postauto gewesen, als er vor anderthalb Jahren in den Knast von Österåker gewandert war. Und außerdem erpresste er Rado jetzt und verlangte Knete.
Zusammengefasst: Jorge hielt sich irgendwo in einer billigen Bleibe in Schweden auf, höchstwahrscheinlich in der Gegend von Stockholm. Allein.
In der Mitte des Papiers: eine Spalte für noch ausstehende Fragen. Wer hatte zuletzt Kontakt mit Jorge gehabt? Wo hatte er sich direkt nach der Flucht versteckt? Mrado unterstrich zwei entscheidende Worte: Aufenthaltsort jetzt. Er war mit seiner Suche nicht gerade weit gekommen. Es war genauso leicht, rauszufinden, wo sich der Latino befinden könnte, wie ein Puzzle zusammenzusetzen, das einen Himmel mit ausschließlich blauen Teilen abbildete.
Er konnte natürlich den Anruf von Jorge abwarten und ihm dann ein wenig Angst einjagen. Ihm damit drohen, seiner Schwester/Mutter etwas anzutun. Aber das war nicht Radovans Order. Sie lautete: Such ihn auf, mach ihn fertig und zeig ihm, wer das Sagen hat. Außerdem: Jorge hatte offensichtlich mit seiner Familie gebrochen. In diesem Fall würden ihm Drohungen nicht weiterhelfen.
Mrado nahm einen letzten Schluck Bier. Ließ sich die Rechnung bringen. Bezahlte. Gab Trinkgeld. Auf der Treppe auf dem Weg nach oben aus dem Kellergewölbe vibrierte es in seiner Hosentasche. Wieder Empfang. Eine SMS . Er nahm sein Handy zur Hand. Unbekannte Nummer. Las die SMS : »Ruf mich um 20 Uhr unter dieser Nummer an./Rolf.« Sein Bullenkontakt. Der Feigling benutzte das Handy seiner Tochter oder seines Sohnes für Telefonate mit Mrado. Die SMS : gute Neuigkeiten. Vielleicht wusste Rolf etwas.
Es war acht Uhr. Mrado saß in seinem Wagen vor dem Shootclub Pancrease auf der Odengata. Rief Rolf an. Verzichtete bewusst darauf, seinen eigenen Namen, Rolfs Namen oder andere Details explizit zu nennen. Er fasste sich kurz wie immer.
»Hallo, ich bin’s.«
»Alles in Ordnung?«
»Klar, und bei dir?«
»Ja, geht so, ähh, hab ’nen harten Tag hinter mir. Den ganzen Tag hinterm Steuer der Bullenkarre gesessen. Hab mir ’nen Hexenschuss eingefangen.«
»Du musst mehr trainieren. Mal raus und joggen und jeden Abend fünfzig Back-ups machen. Du wirst sehen, dann wird es besser. Was hast du für mich?«
»Hab mich ein wenig umgehört über das, was wir besprochen haben. Die nördlichen Kollegen haben vor einem Monat ’nen Typen zum Verhör einbestellt. Sergio Salinas Morena, ein kleiner Stänkerer aus Sollentuna. Ist ’n Cousin von dem Kerl, den du suchst. Kam nichts bei raus, aber offensichtlich war er wegen Beihilfe verdächtigt worden.«
»Prima, die Firma dankt und verneigt sich. Ich werd mich drum kümmern. War das alles?«
»Das war alles. Wir hören voneinander.«
Mrado startete den Wagen. Fuhr auf die Kreuzung Sveavägen/Odengatan. Bog in Richtung Norrtull ab. Aus dem Training im Club würde heute Abend nichts werden. Er rief Ratko an – benötigte seine Kontakte in Sollentuna. Ratko war gerade bei seiner Freundin in Solna. Schien nicht besonders fit, um mit nach draußen auf die Jagd zu gehen. Und dennoch: Er willigte ein, am Råsundaväg zu stehen und zuzusteigen. Was sollte Ratko auch machen? Die grundsätzliche Regel: Wenn Mrado um einen Gefallen bittet, ist man zur Stelle.
Sie fuhren auf der E 4 raus in Richtung Sollentuna. Ratko kannte selbst
Weitere Kostenlose Bücher