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Spür die Angst

Spür die Angst

Titel: Spür die Angst Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Jens Lapidus
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Jugoslawien zerbombt.
    Auf der Straße passierte nichts. Mrado war kurz davor, wieder einzuschlafen.
    Zehn nach sieben: Der erste Obdachlose kam durch die Eingangstür nach draußen geschlurft. Mrado öffnete die Autotür und rief ihn zu sich. Der Mann, ein Typ mit ergrautem Dreitagebart, in mehrere Jacken übereinander gehüllt und mit alten Snowboots an den Füßen, schien anfänglich Angst zu haben. Mrado setzte seine freundliche Stimme auf. Zeigte ihm Fotos von Jorge. Erklärte ihm, dass er höchstwahrscheinlich seine Haarfarbe oder irgendwas anderes an seinem Aussehen verändert hatte. Erklärte, dass der Latino irgendwann in den letzten vier Wochen in der Nachtherberge gewohnt hatte. Erklärte, dass ihn ein Lachs erwartete, wenn er etwas Hilfreiches beizusteuern hätte. Der Penner wusste nichts. Schien sich anzustrengen, besonders, als er das mit den tausend Kronen hörte.
    Mrado wartete. Nach zehn Minuten: Zwei weitere Berber kamen raus. Er spielte mit ihnen dasselbe Spielchen wie mit dem ersten. Sie erkannten J-Boy nicht.
    Er machte weiter. Befragte insgesamt zwölf Obdachlose. Es wurde halb neun. KarismaCare würde in einer halben Stunde schließen. Keiner hatte einen blassen Schimmer, und das Schlimmste war, dass es nicht so schien, als würden sie lügen.
    Schließlich kam ein Mann mittleren Alters raus. Verfaulte Zähne. Ansonsten relativ gepflegtes Aussehen. Mantel, schwarze Hosen, Handschuhe. Mrado rief den Kerl zu sich. Begann sein Spielchen von neuem: erklärte, zeigte, schmierte ihn. Bot ihm tausend Kröten. Es schien, als dächte der Mann nach. Er wusste etwas.
    »Ich kenne diese Person.«
    Mrado holte zwei Fünfhunderter hervor. Rieb sie aneinander.
    Der Mann redete weiter, schielte auf die Scheine. »Ich hab diesen Angeber mindestens dreimal oben im KarismaCare gesehen. Du musst wissen, ich erinner mich an ihn, weil er am Boden lag und ohne Ende Sit-ups machte. Danach hat er geduscht und sich mit Creme eingeschmiert. Bräunungscreme. Was für ein Schnösel.«
    »Er war also brauner als auf dem Foto?«
    »Du weißt ja, Schwarze wollen weiß werden, so wie dieser Micke Jackson. Und Weiße wollen eben braun werden. Dieser Schnösel hier auf deinem Foto, der war ja schon ziemlich braun, deshalb fand ich es komisch. Er hat übrigens lockigere Haare als auf deinem Foto und einen längeren Bart. Ich hab einmal versucht, mich mit ihm zu unterhalten. Aber er sagte nicht viel, nee. Allerdings kannte er noch andere Nachtherbergen in der Stadt, vielleicht findest du ihn ja dort.«
    »Woher weißt du das?«
    »Woher ich das weiß? Er hat so verdammt viel rumgemeckert. Hat behauptet, dass der Standard in anderen Einrichtungen besser wäre, zum Beispiel im Nattugglan. Was für ein Besserwisser. Man sollte sich wirklich nicht beschweren, wenn man ein Bett, Frühstück und Abendessen für unter zweihundert kriegt. Aber es gibt viele, die meckern, musst du wissen. Können nicht einfach nur dankbar sein.«
    Mrado bedankte sich bei dem Mann. War richtig froh. Gab ihm die zwei Fünfhunderter. Ermunterte ihn, die Botschaft weiterzusagen: Wer irgendwas über den lockigen, dunkelhäutigen Typen weiß, kann sich gegen Cash an Mrado wenden.

22
    Das Erste, was Jorge wollte, war Essen.
    McDonald’s, Sollentuna Centrum: McTasty, Cheeseburger, Extra Portion Pommes frites mit Ketchup in den kleinen weißen Bechern. Jorge schwelgte. Gleichzeitig: Angst hoch drei – sein restliches Geld war aufgebraucht, und es dauerte noch zwei Tage, bis er Mrado anrufen konnte. Das Wort KNETE gab den Takt vor.
    Er war von der Hütte in die Stadt gekommen. Hatte eine volle Pulle Whisky aus dem Barschrank mitgehen lassen. War im Bus eingeschlafen. Verdammt relaxt – einer der sichersten Orte in der Stadt. Entspannung mit Goldrand. War auf dem direkten Weg nach Sollentuna gefahren. Hatte sich nicht getraut, sich bei Sergio oder Eddie zu melden. Vielleicht hatten die Bullen jemanden dort abgestellt. Stattdessen hatte er zwei Kumpels von früher angerufen, Vadim und Ashur. Mit ihnen hatte er in den guten alten Zeiten gemeinsam Koks vertickt.
    Er hätte es eigentlich nicht tun dürfen, konnte sich aber nicht zurückhalten – das Bedürfnis nach zwischenmenschlichem Kontakt war zu stark.
    Sie hießen ihn willkommen wie einen König. J-Boy: die Ausreißerlegende. Der Koksmythos. Der Latino, der das Glück auf seiner Seite hatte. Sie liehen ihm Geld für McDonald’s. Erinnerten ihn an glücklichere Zeiten, an seine Kumpels von der Straße, an die

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