Spür die Angst
Vorlesung an der Universität am Vormittag sausen. Machte sich stattdessen noch einmal auf den Weg zum Sveaplans Gymnasium. Ging hoch ins Sekretariat. Die Sekretärin erkannte ihn wieder und begrüßte ihn freundlich. Sie trug denselben Wickelrock wie beim letzten Mal.
JW sagte: »Ich habe eine etwas ungewöhnliche Bitte an Sie.«
Die Frau lächelte. JW hatte sein Höflichkeitsprogramm ein paar Tage zuvor erfolgreich absolviert.
»Ich würde gern das Abschlusszeugnis einer Schülerin einsehen, die vor vier Jahren diese Schule besucht hat, Camilla Westlund.«
Die Frau lächelte immer noch, doch ihr Lächeln verzog sich zu einer Grimasse, indem sie die Augen zusammenkniff. Sie legte ihren Kopf leicht schräg und blinzelte JW von der Seite an. Will heißen: Jetzt gehen Sie aber ein bisschen zu weit.
»Tut mir leid, wir können die Zeugnisse nicht herausgeben.«
JW hatte mit dem Stockholmer Stadtschulamt Kontakt aufgenommen, denn er hatte schon mit einer abwehrenden Reaktion von Seiten der Sekretärin gerechnet. Er war also vorbereitet. Hatte sich hinlänglich informiert, seine Argumente sorgfältig abgewogen. Fühlte sich auf der sicheren Seite. Ging direkt in die Offensive. Er war schließlich nicht hier, um mit dem spröden Weibsbild Höflichkeitsfloskeln auszutauschen.
»Oh doch, die Zeugnisse sind Bestandteil der allgemeinen Dokumente und müssen auf Anfrage herausgegeben werden, solange sie nicht aus irgendeinem Grund für geheim erklärt werden. Wenn Sie also nicht darlegen können, dass die Dokumente der Geheimhaltungspflicht unterliegen, und einen Grund dafür angeben können, sind sie öffentlich einsehbar und mir unmittelbar vorzulegen. Wenn Sie sich also weigern sollten, sie herauszugeben, kann das als Dienstvergehen angesehen werden, womit Sie sich strafbar machen.«
Die Frau zog erneut eine Grimasse, das Lächeln umspielte aber weiterhin ihren Mund. Ihre Augen starrten unablässig nach links unten. Unsicherheit.
JW redete weiter, als läse er von einem Blatt ab: »Auch andere Dokumente, die im Zusammenhang mit dem Komvux erstellt werden, sind allgemein und mit größter Wahrscheinlichkeit öffentlich zugänglich. Gemäß dem Geheimhaltungsgesetz finden sich keine Gründe dafür, weshalb sie nicht herausgegeben werden können. Wenn ich Sie nun also darum bitten dürfte, die Noten sämtlicher Fächer, die Camilla Westlund hier belegt hat, herauszusuchen. Danke.«
Die Frau machte auf dem Absatz kehrt und ging in einen angrenzenden Raum. JW hörte sie leise mit jemandem sprechen.
Selbst Janne Josefsson, der provokative Journalist, hätte gegen JW einpacken können.
Die Sekretärin kam zurück.
Diesmal eine andere Miene, ein noch manierierteres Lächeln. Ihre Augen strahlten jetzt Unterwürfigkeit aus.
»Ich muss sie erst aus dem Archiv holen. Würden Sie bitte einen Moment warten?« Sie erwähnte mit keinem Wort, dass sie unrecht gehabt hatte.
Egal – JW hatte den ersten Punkt gemacht.
Sie blieb zwanzig Minuten lang weg.
JW wurde nervös. Schickte diverse SMS und checkte den Kalender auf seinem Handy, während seine Gedanken zwischen Kokainverkaufsstrategien, Abdulkarims Platituden, Camillas Ferrariausflügen und dem Chilenen, den er finden musste, hin- und herwanderten. Ihm kam alles auf einmal in den Sinn. Ohne jegliche Struktur.
Die Frau kehrte zurück. In der Hand hielt sie eine Plastikhülle, die sie ihm überreichte.
JW warf einen Blick in die Unterlagen: Kopien diverser Zeugnisse. Die Noten waren von Hand eingetragen.
Schwedisch: Kurse A, B: Sehr gut
Englisch: Kurse A, B: Sehr gut
Mathematik: Kurs A: Genügend
Geschichte: Kurse A, B: Mangelhaft
Sozialkunde: Kurs A: Sehr gut
Französisch: Kurse A, B: Genügend
JW blieb im Sekretariat stehen. Er heftete seinen Blick auf die Noten. Irgendetwas war merkwürdig. Er versuchte drauf zu kommen, was es war. Camilla hatte Jan Brunéus in Schwedisch, Englisch und Sozialkunde gehabt. Und es stimmte, was er sagte; sie hatte in allen seinen Kursen ein Sehr Gut. In den anderen Fächern bekam sie hingegen nur Genügend und Mangelhaft. Die Frage war, warum sie bei Jan ein Sehr gut bekam.
JW musste es herausfinden.
Sprach die Sekretärin ein weiteres Mal an. Bat sie, weitere Unterlagen von Camilla beizubringen.
Dieses Mal ging es schneller. Sie wusste ja inzwischen, wo sie suchen musste.
Die Sekretärin kam nach fünf Minuten mit einer ähnlichen Plastikmappe in den Händen zurück. Andere Dokumente.
Sie enthielten die Fehlzeiten von
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