Spürst du den Todeshauch: Thriller (German Edition)
Bahnsteig, als der Zug Richtung Manhattan gerade einfuhr. Erleichtert stieg Clyde zu. Der Zug war fast leer.
Clyde schloss die Augen und dachte nach. Ich kann nicht mehr zurück. Wenn die Flammen gelöscht sind, werden sie bestimmt die Lastwagen wegschaffen, und wenn sie einen Blick in den kaputten Möbellaster werfen, wissen sie, dass sich da drin jemand verkrochen hat. Vielleicht schieben sie mir sogar die Explosion in die Schuhe. Er wusste aus der Zeitung, dass den Obdachlosen, die in verlassenen Häusern oder Gebäuden Unterschlupf suchten, oft Brandstiftung unterstellt wurde, falls ein Feuer ausbrach.
Und dann musste er an das Mädchen denken, das damals zu ihm in den Laster gekommen war. Aus irgendeinem Grund hatte er von ihr geträumt, als sich die Explosion ereignet hatte. Ich glaube nicht, dass ich ihr was getan habe, dachte er. Ich hab ihr einen Schlag verpasst, nachdem sie immer weiter gequasselt und mich mit ihren blöden Fragen genervt hat und ich doch nur wollte, dass sie endlich den Mund hält. Aber ich weiß nicht … ich weiß einfach nicht … ich hab ihr bloß einen Schlag verpasst …
Er trieb sich den ganzen Tag bettelnd auf der Lexington Avenue herum. In der Nacht suchte er einen seiner alten Plätze auf. Eine Parkgarage in der West Forty-sixth Street mit einer Zufahrt zu einem unterirdischen Parkdeck. Zwischen ein und sechs Uhr morgens war die Parkgarage geschlossen, und das Gitter an der Einfahrt war herabgelassen und abgesperrt. Dort, an das Gitter gedrängt, vom Wind geschützt und von der Straße aus nicht einsehbar, konnte Clyde schlafen.
Er wartete einen halben Block entfernt, bis er den Parkwächter die Zufahrt hochkommen sah, dann schlich er ans Gitter und ließ sich nieder. Es war ganz okay, weil er meistens nicht viel Schlaf brauchte, trotzdem vermisste er den Komfort des Möbelwagens, an den er sich doch sehr gewöhnt hatte.
Am Freitagmorgen war er dann schon vor Sonnenaufgang unterwegs und wanderte zum Betteln zur West Twenty-third Street. Genügend Münzen und Dollarscheine landeten in seiner Mütze, damit er sich vier Flaschen Billigwein kaufen konnte. Zwei davon trank er am späten Nachmittag. Am Abend schob er seinen Wagen auf der Eighth Avenue zur Forty-sixth Street, wobei er sich vor allem vor den Gutmenschen in Acht nahm, die ihn in eine Obdachlosenunterkunft verfrachten wollten.
Er hatte mehr Wein als sonst intus und konnte es kaum erwarten, dass der Parkwächter ging. Es war fast Viertel nach eins, als Clyde endlich den Knall des heruntergelassenen Gittertors hörte. Kurz darauf kam der Wächter die Zufahrt herauf und verschwand auf der Straße.
Fünf Minuten später hatte sich Clyde am Gitter eingerichtet, sich Zeitungen untergelegt, sich mit anderen zugedeckt und nippte nun mit geschlossenen Augen an seinem Wein. Aber dann hörte er auf der Zufahrt das Klappern eines Einkaufswagens. Wütend schlug er die Augen auf. Im fahlen Licht erkannte er einen alten Penner namens Sammy.
»Hau ab!«, rief Clyde.
»Hau selber ab, Clyde!«, ertönte eine raue, lallende Stimme. Im nächsten Moment spürte Clyde, wie ihm die Flasche aus der Hand gerissen und ihm der Inhalt übers Gesicht geschüttet wurde. Sofort schlug er zu und traf Sammy am Kinn. Sammy taumelte nach hinten, fiel zu Boden und rappelte sich wieder auf. »Schon gut, schon gut, wenn du keine Gesellschaft willst«, murmelte er. »Ich geh ja schon.« Sammy legte die Hand auf seinen Einkaufswagen, ging los, blieb kurz darauf wieder stehen und warf noch Clydes Wagen um, bevor er die Zufahrt hinaufhastete.
Clydes letzte Weinflasche rollte aus dem Wagen und blieb neben ihm liegen. Er wollte schon aufspringen und Sammy hinterherjagen. Er hätte ihn erwischt, ganz bestimmt, und er spürte auch schon, wie gern er ihm die Kehle zugedrückt hätte. Aber dann hielt er inne, griff stattdessen nach der Weinflasche, schraubte den Verschluss auf und machte es sich wieder auf seinen Zeitungen bequem. Mit dem Ärmel der verdreckten Jacke wischte er sich den Wein aus dem Gesicht.
Dann schloss Clyde die Augen und trank aus der Flasche. Und als sie leer war, fiel er mit einem zufriedenen Seufzen in einen tiefen Schlaf.
32
F reitag am späten Nachmittag trafen sich Doug Connelly und Jack Worth auf dem Parkplatz des Bestattungsinstituts, traten ein und sprachen der Witwe von Gus Schmidt ihr Beileid aus. Eine immer noch kreidebleiche Lottie, die nach einer halbstündigen Ruhepause wieder in den Aufbahrungsraum zurückgekehrt war,
Weitere Kostenlose Bücher