Spur der Flammen. Roman
ehrgeizigen Ziele zu nutzen. Denn obwohl die Alexandrier als demokratisch und untereinander gleichberechtigt galten, kam man nicht um die Tatsache herum, dass sich Stone, der sich auf eine erstaunliche Abstammung berief, die bis zurück zum Hohepriester Philos reichte, der Unterstützung vieler Alexandrier sicher sein konnte. Und wenn er Emma heiratete, würde er eine Art Königreich innerhalb des Ordens ausrufen, galten doch auch die für die Bibliothek zuständigen Priester und Priesterinnen von jeher als Mitglieder des ägyptischen Königshauses.
Deshalb stand zu befürchten, dass, sobald Keyes aus dem Weg geräumt war, Desmond Stone alles daransetzen würde, um auf charmante oder erpresserische Art die elternlose Emma zur Heirat zu überreden.
Jeremy, der die beiden beobachtete, konnte sich nicht satt sehen an dem blassen, ovalen Gesicht der jungen Lady, an ihren seidenweichen Wimpern, den zarten Löckchen, die unter ihrem Hut hervorlugten. Wer sie wohl war?, fragte er sich und hoffte inständig, dass es sich bei diesem bezaubernden Wesen um Keyes’ Schwester handelte.
»Ach Frederick, Liebster, was für ein bedrückender Ort. Der Gedanke, dich hier zu wissen, ist mir unerträglich.«
Emma wusste nichts von Stones Verrat, ebenso wenig wie die Alexandrier. Wenn Frederick sie darüber aufklärte, dass seine Verhaftung und Verurteilung auf Desmonds Veranlassung hin erfolgt war, könnte dies die Gemeinschaft spalten, sie zergliedern, die Mitglieder mochten für den einen oder anderen Partei ergreifen, Verdächtigungen würden sich zusammenbrauen, ein Bruder würde dem anderen misstrauen. Dem Orden zuliebe wollte Frederick Keyes sein Geheimnis mit aufs Schafott nehmen.
Emma umfasste seine Hände. »Lass uns heiraten, hier, jetzt, unverzüglich.«
»Ich möchte dich weder zur Witwe machen, noch lasse ich zu, dass du an einem solch unsäglichen Ort ein heiliges Gelübde ablegst.«
Urplötzlich sah Jeremy seinen neuen Zellengenossen in einem ganz anderen Licht als noch am Abend zuvor. Nicht als die verlorene, von allen verlassene Seele, wie zunächst angenommen. Als Keyes erklärt hatte, niemand würde ihn besuchen kommen, hatte Jeremy daraus geschlossen, der Mann habe keine Freunde, und nicht, dass er sich jedweden Besuch verbeten hatte. Im Gegensatz zu Jeremys Freunden, die von sich aus weggeblieben waren.
Dies gab Jeremy zu denken. Er hielt sich für einen netten Kerl, wurde stets überschwänglich begrüßt, wo immer er sich blicken ließ, und zu den hochrangigsten Gesellschaften eingeladen. Aber zum ersten Mal erkannte er, dass die, die er als Freunde bezeichnete, gar nicht seine Freunde waren. Bislang hatte er sich nicht weiter den Kopf darüber zerbrochen und ihnen auch ihr Fernbleiben nicht übel genommen. Kostete immerhin einiges an Überwindung, jemanden im Gefängnis zu besuchen. Dieser reizenden Emma jedoch schien das nichts auszumachen.
Er war irgendwie verunsichert.
»Mein Liebster«, sagte Emma jetzt, »Horace Babcock wird deinen Fall dem Innenminister persönlich vorlegen und um Gnade bitten.«
»Ich weiß. Ich hatte gehofft, das Gesuch wäre schon durch. Aber keine Angst, bald bin ich frei. Bis dahin, Emma, muss ich an meinen Plänen zum Schutz von Morven arbeiten.«
»Aber dafür ist keine Zeit mehr! Desmond Stone ist bereits in Morven und überwacht die Vorbereitungen zur Durchführung seines Projekts.«
»Emma, es ist nie zu spät. Ich werde diesen Zwangsaufenthalt dazu nutzen, Stones barbarischen Plan zu durchkreuzen. Ich verspreche dir, dass ich mir zum Schutz der Bibliothek etwas Humaneres einfallen lassen werde.«
»Als du vor Gericht standest – ach Frederick, wie konnte man dich dort derart missverstehen! Und wie edelmütig von dir, unser Geheimnis nicht zu offenbaren.« Genau dies wäre Fredericks Karte in die Freiheit gewesen: zu erklären, warum er Äußerungen getan hatte, die zwar verräterisch klangen, es aber durchaus nicht waren. Dies richtig zu stellen, hätte jedoch bedeutet, die Existenz und den Zweck des Ordens zu offenbaren.
Welch unsägliche Ironie! Da war er beauftragt worden, die Sammlung vor Dieben und Spionen zu schützen, und die einzige Möglichkeit, dieser Aufgabe nachzukommen, war, die Existenz dessen publik zu machen, was es geheim zu halten galt!
Als die Glocke das Ende der Besuchszeit verkündete, übergab Frederick Emma eine Liste der Dinge, die er benötigte, und am nächsten Morgen erschien sie mit Skizzenpapier und Zeichengerät; außerdem brachte
Weitere Kostenlose Bücher