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Spur der Flammen. Roman

Spur der Flammen. Roman

Titel: Spur der Flammen. Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Barbara Wood
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wusste, dass der Henker auf ihn wartete und eine Begnadigung ausgeschlossen war, ließ er alle Hoffnung fahren und gab auf. Frederick Keyes jedoch ließ sich nicht unterkriegen. Tag und Nacht kniete er über seinen auf dem verdreckten Boden ausgebreiteten großformatigen Entwürfen, zog Linien, kritzelte Zahlen, hantierte wie ein Besessener mit Kompass, Reißschiene, Lineal, Winkeldreiecken, Winkelmessern, Zirkeln, nahm Parallelverschiebungen vor. Alles im Wettlauf mit der Zeit – er musste sein Werk zu Ende bringen, bevor der Henker rief.
    Welcher Mann, wunderte sich Jeremy, verbringt schon die letzten Tage seines Lebens mit Arbeit?
    Was Keyes beflügelte, war, soweit Jeremy verstanden hatte, ein Ort namens Morven und Schutzmaßnahmen für irgendeine Sammlung. Ernüchtert stellte er fest, dass er selbst mit seinen sechsunddreißig Jahren außer einem mit erlesener Garderobe prall gefüllten Kleiderschrank nichts vorzuweisen hatte. Wenn er an die Zukunft dachte, sah er sich als Zielscheibe von Hohn und Spott, als ein Mann, der nicht in Würde zu altern verstand, sondern sich vielmehr zum Hanswurst machte. Jeremy hatte solche Männer erlebt, grauhaarige Gecken, hinter deren Rücken man sich über sie lustig machte. Nur: Welche Alternative bot sich ihm an? Der Gedanke, sich als Bücherrevisor in der Firma seines Vaters abzurackern, war ihm zuwider. Für ein Universitätsstudium war er zu alt und um ein Handwerk zu erlernen auch. Was also würde letztendlich auf seinem Grabstein stehen?
Hier ruht Jeremy Lamb. Ein Mann, der sich gut zu kleiden verstand.
    Emma erschien mit Essen, sauberer Kleidung und Neuigkeiten: Die Bauarbeiten für das Theater am Drury Lane waren endlich beendet; Beethoven hatte seine neueste Symphonie, die Achte, uraufgeführt; in Ägypten hatte ein Schweizer Forscher einen prächtigen Tempel entdeckt, an einem Ort namens Abu Simbel; außerdem wurden allerlei Vermutungen darüber angestellt, mit welchen Erkenntnissen Monsieur Champollion nach Beendigung der Übersetzung der Hieroglyphen auf dem Rosettastein aufwarten würde.
    Aber anstatt sich ihr zu widmen, sagte Frederick: »Spiel doch mit Jeremy Karten, damit ich weiter an meinen Plänen arbeiten kann.«
    Was er denn auch tat.
    Seine nächste Bitte war: »Emma, könntest du etwas von deiner Spezialcreme mitbringen? Jeremy machen die Rattenbisse zu schaffen.« Und dann: »Emma, sei doch so nett und back für Jeremy ein paar von deinen exquisiten Marmeladentörtchen. Bestimmt hat er noch nie etwas derart Himmlisches gekostet.«
    Und schließlich: »Emma, warum berichtest du Jeremy nicht von unserem Vorhaben, die Bibel wieder in ihre Originalform zu bringen?«
    Derart geschickt fädelte Frederick sein Vorhaben ein, dass weder Emma noch Jeremy, der die Aufmerksamkeit genoss, mit der man ihn neuerdings bedachte, auch nur im Entferntesten ahnten, was Keyes bezweckte.
    »Haben wir denn die Bibel jetzt nicht in ihrer Originalform?«, fragte Jeremy, ganz berauscht von der Zuwendung, die ihm nun von der entzückenden Emma zuteil wurde, von ihrem Parfum und ihrer Nähe, die diese grässliche Gefängniszelle in einen Himmel auf Erden verwandelte.
    »Es gab Hunderte von Evangelien und Episteln«, sagte sie, »die in den frühen Jahren des Christentums zirkulierten und dem neuen Glauben angesichts miteinander wetteifernder Sekten und widersprüchlicher Auslegungen eine unterschiedliche Interpretation beimaßen. Bis eine Gruppe beschied, es könne nur einen wahren Glauben geben; also setzte man sich bei einem Konzil zusammen und bestimmte, was zum Kanon gehörte und was nicht. Die Schriften, die man verwarf, wurden als ketzerisch eingestuft und gingen verloren. So etwa das Thomas-Evangelium. Die Alexandrier haben jahrhundertelang nach diesen verlorenen Schriften gesucht, um sie wieder in die Sammlung einzugliedern.«
    »Erstaunlich«, befand Jeremy, beeindruckt von so viel Wissen in diesem hübschen Köpfchen.
    »Auch das Alte Testament ist unvollständig. Hier fehlen der Sammlung noch einige Bücher.«
    »Wenn sie fehlen, woher weiß man dann, dass es sie gibt?«, fragte Jeremy und stellte fest, dass in der blassblauen Iris von Emmas einem Auge ein kleiner schwarzer Punkt schwamm.
    »Die Bibel selbst bezieht sich darauf. Josua zehn, dreizehn: ›Da stand die Sonne still und der Mond blieb stehen, bis das Volk sich an seinen Feinden gerächt hatte. Steht es nicht so im Buch Jaschars?‹ Wir glauben, dass es neben dem Buch Jaschars noch achtzehn weitere gibt,

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