Spur ins Eis
nicht einfach zurück. Verstehen Sie, was ich sage ? Sie würden jedes Mittel nutzen, um uns aufzuspüren. Freunde und Familie töten, um an uns heranzukommen.«
Will schüttelte den Kopf. »Nicht kaltblütig, Kalyn.«
»Sie können ja hier warten, Will. Ich kümmere mich …«
»Nein. Nicht wie …«
»Oh, Scheiße.«
Will sah nicht, wie sie die Waffe zog, nur eine blitzschnelle Bewegung, dann stand Kalyn mit gespreizten Beinen da und zielte mit der Glock, die sie in beiden Händen hielt, in die Dunkelheit.
»Sehen Sie ihn ?«, flüsterte sie.
Will starrte auf den Stamm des toten Saguaro, als ob der Mann sich dadurch rematerialisieren würde, aber er war nicht mehr da.
»Nein.«
»Setzen Sie sich auf den Beifahrersitz. Sofort.«
Will drehte sich um, stieg ein und schloss die Tür, während Kalyn sich ans Steuer setzte.
Sie verriegelte die Türen.
Einen Moment lang konnten sie in der Dunkelheit nichts sehen, weil die Innenbeleuchtung an war.
»Schlüssel.«
Will reichte ihr die Schlüssel, und sie ließ den Motor an. Sie schaltete das Fernlicht an und fuhr los.
Das helle Licht durchschnitt die Dunkelheit, und das Erste, was Will auffiel, war das Schimmern von Metall in der Nähe des toten Saguaro-Kaktus.
»Haben Sie das gesehen ?«, sagte er.
»Was ?«
»Am Kaktus. Er hat sich aus den Handschellen befreit.«
Kalyn trat aufs Gaspedal.
»Was machen Sie ?«
Der Wagen schoss vor, überquerte die Straße und rumpelte in die Wüste.
»Weit kann er nicht sein«, sagte Kalyn. »Wie lange hatte er Zeit ? Dreißig Sekunden ? Wie weit kann er gelaufen sein ?«
»Zweihundert Meter.«
»Wirklich ?«
»Ich bin im College Langstrecke gelaufen. Er ist in bester Form.«
Hinter einem Ocotillo schoss etwas Dunkles hervor – nur ein paar Kaninchen.
»Sehen Sie die Schlucht da vorne ?«, sagte Will.
»Ja.«
Kalyn bremste, und der Buick schleuderte durch den Sand. Sie wendete, dann fuhr sie erneut los, langsam, in einem weiten Kreis und suchte die Wüste ab.
Dreißig Sekunden später hielten sie erneut am Rand der Schlucht.
»Glauben Sie, er ist da hinunter gelaufen ?«, fragte Will.
Kalyn zog die Glock aus dem Schulterhalfter.
»Nein«, sagte Will.
»Er ist da draußen. Entweder kriegen wir ihn jetzt oder können in Zukunft keine Minute mehr sicher …«
»Gehen Sie nicht raus.«
»Mir passiert schon nichts.« Sie wedelte mit der Glock. »Er hat keine Waffe.«
Sie öffnete die Tür und stieg aus.
»Kalyn.«
»Er hat keine übernatürlichen Kräfte, Will. Er blutet wie du und ich. Bleiben Sie hier.«
Sie schlug die Tür zu. Wegen der Innenbeleuchtung sah er nicht, wohin Kalyn ging, er hörte nur ihre Schritte.
Dann wurde es wieder dunkel im Wagen, und im Licht der Scheinwerfer sah er einen Roadrunner zwischen den Chollas auf der anderen Seite der Schlucht, eine zuckende Schlange im Schnabel.
21
Kalyn war schon fast hundert Meter vom Auto entfernt, bevor sie merkte, dass sie die Taschenlampe im Handschuhfach vergessen hatte. Sie blieb neben einem alten Säulenkaktus stehen. Da kein Wind ging, konnte sie schon nach einem Moment die leisesten Geräusche hören – die dumpfen Bässe aus einem Radio auf dem Campingplatz, ein Rascheln im Gestrüpp, verursacht von einer Ratte oder einem kleinen Vogel.
Sie kletterte die Böschung herunter und blieb einen Moment lang im trockenen Flussbett des Arroyo stehen. Hier war es absolut still, und die Luft war kühler.
Sie wartete, bis sich ihre Augen an das schwache Licht gewöhnt hatten und sie Umrisse erkennen konnte. Felsbrocken, Gestrüpp und in ein paar Metern Entfernung der Kadaver eines Kojoten, der scharf nach Verwesung stank.
Im Sand hinter ihr war plötzlich eine schnelle Bewegung – Schritte knirschten.
Ein Baumwollschwanzkaninchen hoppelte vorbei.
»Scheißvieh !«, rief sie ihm nach und kletterte wieder aus der Schlucht heraus. Die schwarzen Umrisse des Autos waren deutlich zu erkennen. Die Chromteile schimmerten im Mondschein.
Sie ging zur Fahrertür. Als sie sie öffnete, bewegte sich ein Busch hinter ihr, und als sie sich umdrehte, sah sie Will.
»Was ist mit Ihnen los ?«, sagte sie. »Ich habe Ihnen doch gesagt, Sie sollen im Wagen bleiben.«
»Ich hatte Angst, dass ich ein einfaches Ziel für ihn wäre, wenn er Sie töten würde.«
Sie senkte die Waffe. »Nun, darüber brauchen Sie sich im Moment keine Sorgen mehr zu machen.«
»Haben Sie ihn erwischt ?«
»Nein, er ist weg. Kommen Sie, wir sollten verschwinden.«
»Und ihn
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