Spur ins Eis
sich gegenüber.
»Was meinen Sie ?«, fragte die Frau. Sie hatte sich die Haare gefärbt und aufgedreht.
»Warum haben Sie das getan ?«
»Damit ich so aussehe wie die vermissten Frauen.«
Bei näherer Betrachtung sah Will, dass Kalyn ihre Augen mit schwarzem Eyeliner so betont hatte, dass sie größer wirkten. Farbige Kontaktlinsen ließen sie fast schwarz erscheinen. Abgesehen von ihrer Größe und der Form ihres Mundes sah sie aus wie Rachaels Zwillingsschwester.
»Eine Minute lang dachte ich, Sie wären sie. Ich dachte, ich würde träumen.«
»Träumen Sie oft von ihr ?«
»Ja.«
»Das tut mir leid.«
»Nein, am schlimmsten ist es, wenn ich träume, dass alles nicht passiert ist. Oder dass es nur ein Albtraum war und Rachael neben mir liegt, wenn ich aufwache.«
Kalyn berührte seinen Arm. »Tut mir leid, dass ich Sie gestern im Unklaren gelassen habe. Ich hatte Angst, Sie würden mir nicht helfen, wenn ich Ihnen sagen würde, was ich vorhabe .«
»Wahrscheinlich hätte ich Ihnen auch nicht geholfen.«
»Wenn Sie jetzt noch aussteigen wollen, fahre ich Sie zurück nach Colorado«, sagte sie.
»Verlockend, aber ich muss wissen, was mit Rachael passiert ist.«
»Das freut mich.«
»Einen Einwand habe ich noch. Devlin darf keiner gefährlichen Situation ausgesetzt werden. Das ist oberste Priorität.« Will musterte Kalyn eindringlich. Erneut kam ihm zu Bewusstsein, zu was diese junge Frau in den Dreißigern fähig war. »In einem hatte Javier recht«, sagte er.
»Womit ?«
»Sie sind sehr gut.«
Kalyn lächelte ein wenig. Dass sie errötete, sah er im Halbdunkel nicht.
»Also, sagen Sie mir«, fuhr Will fort. »Wie gehen wir jetzt vor ?«
23
Am Flughafen mieteten sie einen neuen Landrover, schwarz, mit braunen Ledersitzen. Kalyn fuhr, Will saß hinten und Devlin auf dem Beifahrersitz.
Früh am Morgen hielt Kalyn in einer braunen, mit Kakteen bestandenen Gegend in Sun City.
»Warum halten wir ?«, fragte Will.
»Ich muss ein paar Dinge von einem Privatdetektiv abholen. Er ist ein Freund. Einer der letzten, der mir geblieben ist.« Sie stieg aus, und Will blickte ihr nach, als sie zu einem kleinen Lehmziegelhaus ging.
Ein Minivan fuhr vorbei. Dann noch einer – Leute auf dem Weg zur Kirche oder zu Wochenendjobs. Sie hatten dampfende Kaffeebecher dabei.
Will beneidete sie.
Mittags fuhren sie durch das extravagante Las Vegas. Auf der eintönigen Autobahn durch Utah wechselten sich Kalyn und Will ab und ließen sogar Devlin ein kurzes Stück fahren. Auf einem Rastplatz in der Nähe des Zion National Parks machten sie vierzig Minuten Pause, damit Devlin ihre Therapie bekommen konnte, und den Rest des Nachmittags spielten sie Spiele im Auto.
Kurz nach 21.00 Uhr am Sonntagabend erreichten sie Salt Lake City, erschöpft, müde und hungrig.
Sie mieteten sich in einem Motel ein und wanderten in eines der Denny’s gegenüber einigen billigen Motels an der Autobahn.
Burgers, Fritten, schlechte Salate und Mormonen.
Während sie stumm ihre Mahlzeit verzehrten, dachte Will : Ich möchte nur endlich dieses fettige Zeug aufgegessen haben, mich in meinem Motelzimmer ins Bett legen und mir irgendwas Geistloses im Fernsehen anschauen.
Kalyn brach das Schweigen. »Ich finde es ein wenig beunruhigend, dass wir noch nichts von Jav gehört haben.«
»Ja, ich auch. Und wenn wir bis morgen Abend immer noch nichts von ihm gehört haben ?«
»Dann könnte es interessant werden.«
In der Dämmerung wachte Will in seinem Hotelbett auf. Der Lärm der Autobahn dröhnte durch die dünnen Wände. Devlin setzte sich im anderen Bett auf und sagte : »Sind wir eigentlich wahnsinnig, Dad ?«
»Wahrscheinlich.«
Der Anruf kam während des Frühstücks am nächsten Morgen in einem Diner in Brigham City – auf einmal summte es laut aus Kalyns Tasche.
Sie zog den BlackBerry heraus und legte ihn auf den Tisch.
»Welcher Name steht auf dem Display ?«, fragte Will.
»Nur eine Nummer. Vorwahl von Phoenix.«
»Gehst du ran ?«
»Ja. Ich stelle auf Lautsprecher um.«
Kalyn drückte auf Empfang.
»Wer ist da ?«
Ein kurzes Schweigen, dann seufzte jemand. »Sie wissen doch, wer dran ist.«
Devlin fragte lautlos : »Ist er das ?«
Will nickte.
»Javier«, sagte Kalyn lächelnd. »Ich habe mich schon gefragt, wann Sie anrufen würden. Sie waren so rasch verschwunden am Samstag. Was habe ich nicht beachtet ? Hatten Sie Schlüssel für die Handschellen in der Hosentasche ?«
»Wo ist meine Familie ?«
Will blickte
Weitere Kostenlose Bücher