Spur ins Eis
in meinem Besitz ist, rufe ich Jonathan erneut an, um Zeit und Ort zu bestimmen.«
»Wo ?«
»Ich glaube, das sage ich Ihnen erst später. Für den Moment reicht es, wenn Sie wissen, dass es eine weite Reise ist. Wir treffen uns. Jonathan ist ein schwerer Mann, ein Lastwagenfahrer. Die Frau wird in den Trailer gebracht, und danach sehe ich sie nie mehr wieder. Irgendwann, fünf bis zehn Tage später, geht eine Überweisung auf einem meiner Auslandskonten ein. Die Summe wird jedes Mal größer. Mit Jonathan rede ich nicht mehr, bis er das nächste Mal anruft und sagt : ›Sie wollen wieder eine.‹«
Kalyn wischte sich über die Augen. Sie konnte kaum sprechen. Flüsternd fragte sie : »Wie viele Frauen haben Sie schon entführt ?«
»Fünf. Es ist eigentlich nicht typisch für mich, aber es ist gutes Geld.«
»Wie ist Jonathan gerade auf Sie gekommen ?«
»Durch verschiedene Kanäle. Als wir das erste Mal zusammengearbeitet haben, erwähnte er einen wichtigen Namen. Den richtigen Namen, und ich habe mich darauf eingelassen.«
»Gibt es andere Personen wie Sie, die Jonathan benutzt ?«
»Ich habe keine Ahnung. Ich stelle ihm keine Fragen.«
»Sehen Sie mich an, Javier«, sagte Will. Der Mann blickte ihn an. Will ergriff die Fotografie seiner Frau. »Ich möchte von dem Abend hören, als Sie sie entführt haben.« Er zitterte vor Angst, Wut und Trauer.
Javier blickte auf das Foto.
»Das ist schon eine Weile her.«
»Fünf Jahre. Meine Tochter vermisst ihre Mutter.«
»Ich habe sie zum ersten Mal gesehen, als sie aus einer Klinik in Sonoyta kam. An mehr erinnere ich mich nicht. Und an dem Abend, als ich sie mitgenommen habe, gab es ein schweres Gewitter.«
»Wie ging es ihr ?«
»Sie hatte Angst«, sagte Javier. »Sie haben alle Angst. Ich versuche sie zu beruhigen. Sie stehen die meiste Zeit der Fahrt unter Drogen, aber sie werden nicht misshandelt, wenn Sie das meinen. Jedenfalls nicht von mir. Für ein beschädigtes Produkt werden einem nicht solche Summen gezahlt.«
Will holte aus. Es gab einen dumpfen Schlag. Javier fiel gegen die Tür und spuckte einen Zahn aus.
»Ruhig, Will«, sagte Kalyn.
Javier leckte sich das Blut von der Unterlippe. Seine Augen glänzten, und einen Moment lang war Will überzeugt, dass der Mann wahnsinnig war.
»Hat es gutgetan ?«, fragte er. »Wahrscheinlich ja.«
»Ist Jonathan der Mann, der diese Frauen kauft ?«, fragte Kalyn.
»Ich glaube nicht. Er ist genau wie ich ein gut bezahlter Mittelsmann.«
»Wer ist es dann ? Wohin werden sie gebracht ?«
»Vielleicht nach Mexiko. Vielleicht werden sie auch in einen anderen Teil der Welt verschifft. Thailand. Osteuropa. Ich bin nur ein kleines Rädchen in dem großen Getriebe.«
Will blickte Kalyn an.
Seine Hand pochte.
»Javier«, sagte sie, »das war die falsche Antwort. Sie stieg aus dem Wagen und öffnete Javiers Tür. »Steigen Sie aus.«
Javier bewegte sich nicht.
Will stieß ihn vom Sitz. Javier fiel auf das Pflaster. Will stieg ebenfalls aus, ging um die Haube herum und zog ihn vollständig aus dem Auto.
»Wenn Sie im Auto warten wollen, habe ich Verständnis dafür«, sagte Kalyn zu Will.
»Nein, ich bin jetzt ganz bei Ihnen.«
»Dann ziehen Sie ihn auf den Weg. Ich möchte kein Blut auf dem Pflaster haben.«
Will packte Javier unter den Armen und hob ihn an. Der Mann war schwer, muskelbepackt. Als Will ihn schließlich auf den Weg fallen ließ, schwitzte er und atmete schwer vor Anstrengung.
Der Himmel war mittlerweile tief dunkelblau, nur im Westen war noch ein schmaler roter Streifen zu sehen, gegen den sich die Silhouetten der Saguaros abzeichneten. Will blickte auf den Parkplatz und die Straße. Die einzigen Lichter sah man auf dem etwa zwei Kilometer entfernten Campingplatz.
Kalyn sagte : »Drehen Sie sich auf den Rücken.« Javier gehorchte. Er blickte zu ihr auf. Sein Gesicht war geschwollen, sein Kiefer gebrochen. »Was würden Sie tun, wenn Sie an meiner Stelle wären ?«, fragte sie.
»Wir wären in einem Lagerhaus in Tempe. Acid würde eine Rolle spielen. Und es gibt da auch so eine Geschichte mit einem glühenden Eisen und einem starken Magneten.«
»Ich habe nur diese Pistole.« Sie zielte auf seinen Schritt.
»Einen Augenblick«, sagte er. Seine Stimme klang überhaupt nicht furchtsam. »Wenn Sie das tun, kann ich nicht anrufen.«
»Wen wollen Sie anrufen ?«
»Zufällig habe ich vor einem Monat einen Anruf von Jonathan erhalten. Ich befinde mich noch in der Suchphase.«
»Sie
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