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Spur ins Eis

Spur ins Eis

Titel: Spur ins Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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über Schule, Freunde, ihre Krankheit, ihr neues Leben in Colorado. Sie weinten gemeinsam und lachten gemeinsam.
    Vor fünf Jahren waren sie das letzte Mal zusammen gewesen. Sie redeten, umarmten einander und weinten und wussten, dass sie die verlorene Zeit niemals mehr wieder zurückholen könnten, auch wenn sie sich alles erzählten, was seit ihrer Trennung passiert war. Sie hatten sich verändert – waren voller Narben, gequält von Alpträumen. Es gab kein Zurück mehr zu der stürmischen Julinacht in Ajo, Arizona. Die Familie Innis gab es nicht mehr, und sie würden sich neu finden müssen. Sie mussten einen Neuanfang wagen und beten, dass sich die Scherben wieder zu einem Ganzen fügten.
    Trotz aller Freude und Hoffnung begriffen sie erst in diesem Moment, wie viel ihnen genommen worden war und was sie unwiederbringlich verloren hatten.
    Sie schliefen nicht in dieser Nacht. Gemeinsam streiften sie durch die Flure und befreiten die anderen Gefangenen.
    Es waren die emotionalsten Stunden in Wills Leben, als er die Frauen aus ihren Zimmern holte und ihnen sagte, dass die Leute, die sie hier festgehalten und ihr Leben zerstört hatten, ihnen nie wieder etwas tun konnten. Die meisten Frauen brachen hysterisch schluchzend zusammen. Ein paar waren wahnsinnig geworden. Eine lachte, als sie die Neuigkeiten erfuhr. Eine andere saß auf ihrem Bett und starrte stumm aus dem Fenster. Kalyns Schwester, Lucy Dahl, sagte kein Wort. Sie verließ ihr Zimmer, und Will brachte es nicht über sich, ihr zu sagen, was mit ihrer Schwester war. Im Nordflügel fanden sie zwei fast verhungerte Frauen, die so schwach waren, dass Will sie in die Bibliothek tragen musste. Keine von ihnen wog mehr als achtzig Pfund. Ihre Haare waren dünn geworden, und ihre Zähne fielen aus. Eine Frau im zweiten Stock war vor mindestens einem Monat gestorben, und nachdem er sie gesehen hatte, kniete Will sich in eine Ecke des Alkovens und weinte. So viel Schmerz war hier, so viel Verfall.

57
    Sie schoben alle Möbel in die Halle und brachten Matratzen und Decken aus den Nebenräumen in die Bibliothek. Zweiundzwanzig Frauen, die Hälfte von ihnen schwanger, hielten sich in der Bibliothek auf. Will schürte das Feuer, damit es im Raum warm wurde. Die Flammen züngelten hoch und warfen Schattenmuster an die Wände, während draußen der Schneesturm tobte und der Schnee sich hoch vor den Verandatüren auftürmte. Eine Frau, die erst am Morgen ihr Kind zur Welt gebracht hatte, saß in Decken gehüllt in einer Ecke und stillte es.
    Will stand in der offenen Tür und betrachtete die Szene. Manche der Frauen schliefen bereits, andere weinten leise und schaukelten vor und zurück, als fürchteten sie, die neue Realität könne ebenso plötzlich wieder verschwinden, wie sie gekommen war.
    »Schenken Sie mir bitte einen Moment lang Ihre Aufmerksamkeit ?«, sagte Will. »Meine Tochter und ich holen etwas zu essen aus der Küche, da wir den ganzen Tag noch nichts gegessen haben. Hat jemand Hunger ?« Niemand sagte etwas oder hob auch nur die Hand. »Wenn morgen der Sturm nachgelassen hat, landet um drei Uhr nachmittags ein Buschpilot auf einem nahe gelegenen See. Ich werde in der Frühe losgehen und mit ihm nach Fairbanks fliegen, um Hilfe zu holen. Bis morgen Abend sind Sie hoffentlich alle wieder zurück in der Zivilisation und können zu Ihren Familien gebracht werden.«
    Eine halbe Stunde später saß Devlin auf der Kaminbank und aß Rindfleischeintopf und Butterbrot.
    Als sie fertig war, kroch sie neben ihrer Mutter unter die Decke. Sie spürte die Wärme des Feuers durch die Decke. Im Raum war es dunkel und still, man hörte nur die Atemzüge der schlafenden Frauen und das Knistern des Feuers. Innerhalb einer Minute war auch Devlin eingeschlafen.
    Rachael lag auf der Seite, das Gesicht ihrem Mann zugewandt. Er war mehr als fünf Jahre gealtert, dachte sie. Seine Züge waren härter und schmaler, und sein Kinn, das früher einmal weich gewesen war und ihm das jungenhafte Aussehen verliehen hatte, in das sie sich auf dem College verliebt hatte, war kantiger geworden. Sie meinte sogar, silberne Strähnen in seinen dunklen Haaren zu sehen.
    Als Will die Augen aufschlug, lächelte Rachael.
    »Ist es dir warm genug ?«, flüsterte er. Sie nickte. Das Kind in ihrem Bauch bewegte sich. Sie hätte gerne Wills Hand genommen, damit er spüren konnte, wie es sich drehte und trat. »Du hast so einen nachdenklichen Ausdruck im Gesicht«, sagte er.
    »Ja, es wird schwierig

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