Spur ins Eis
Kannst du hier alles unter Kontrolle halten, wenn wir erst morgen zurückkommen ?«
»Ja. Aber ich mache mir Sorgen um dich, weil die Wölfe los sind.«
»Ich habe ja das Gewehr und reichlich Munition.«
»Musst du Devlin mitnehmen ?«
»Ja. Buck und ich holen sie hier am inneren See ab. Ich möchte sie heute Abend gleich ins Krankenhaus bringen. Ich habe zu viel Angst, dass sie eine Lungenentzündung bekommt.«
In einem Lagerraum, vier Türen von dem Zimmer entfernt, wo Paul tot in einem Sessel neben einem erkalteten Kamin saß, fand Will Schneeschuhe, einen Parka und noch weitere Munition.
Er aß früh zu Mittag und verabschiedete sich dann von den Frauen in der Bibliothek. Er erklärte ihnen, er wolle auf jeden Fall versuchen, heute Abend zurückzukehren, aber wenn ihm das nicht gelänge, wäre er spätestens morgen wieder zurück.
Rachael und Devlin brachten Will zur Eingangstür, wo er sich die Schneeschuhe anschnallte.
Rachael umarmte ihren Mann.
»Bis bald«, sagte sie und blickte ihm nach, als er hinausging.
Sie stand in der warmen Sonne, und ihre Augen brannten von dem grellen Licht.
Devlin und sie wollten sich gerade in die Lodge zurückziehen, als sie ein Dröhnen in der Ferne vernahmen, das mit jeder Sekunde lauter wurde. Ein Wasserflugzeug flog über das Dach der Lodge und setzte zur Landung auf dem See an.
Aufgeregt sahen sie zu, wie das Flugzeug mitten auf dem See herunterging. Will, der noch keine fünfzig Meter weit gekommen war, blieb stehen – er würde nicht den langen Weg zum äußeren See zurücklegen müssen.
Der Motor ging aus. Devlin kniff die Augen zusammen und versuchte, das Flugzeug zu erkennen, aber es befand sich am anderen Ende des Sees, fast zwei Kilometer weit entfernt.
Ihr Lächeln erlosch.
Will hatte sich umgedreht und kam so schnell, wie seine Schneeschuhe es erlaubten, auf die Lodge zu.
Irgendetwas stimmte nicht. Er machte ein besorgtes Gesicht.
Atemlos und schwitzend kam er bei ihnen an.
»Was ist los ?«, fragte Rachael.
Will stemmte sich mit den Händen auf den Knien ab, um wieder zu Atem zu kommen.
»Das ist nicht unser Flugzeug«, keuchte er.
59
Das kleinere Übel
Von der Veranda aus hatten Will und Rachael einen ungehinderten Blick auf den gesamten See. Das Wasserflugzeug am anderen Ende war deutlich zu sehen – ein leuchtend roter Fleck in all dem blendenden Weiß.
Will hob das Fernglas an seine Augen und stellte es ein.
»Okay. Ich kann einen … zwei, drei … Männer erkennen. Sie stehen im flachen Wasser, laden das Gepäck aus und werfen Rucksäcke ans Ufer. Sie tragen dicke, weiße Parkas.«
»Jäger ?«, fragte Rachael.
»So sehen sie nicht aus.« Er atmete tief ein.
»Wie denn ?«
Will verspürte plötzlich einen Druck auf seiner Brust, und seine Knie wurden weich. In der Halle waren Schritte zu hören. » Was ist ?«
»Ich erkenne einen von ihnen«, sagte er.
»Wen ?«
»O Gott.«
» Wen, Will ?«
Er ließ das Fernglas sinken und starrte seine Frau an. »Gerade ist Javier Estrada vom Pilotensitz geklettert.«
»Der Mann, den du und Kalyn …«
»Ja.«
»Was macht er hier ?«
»Was glaubst du ? Wir haben seine Familie entführt und sie tagelang in einer ausgebrannten Mall gelassen.«
Devlin trat zwischen ihre Eltern und fragte : »Habt ihr herausgefunden, wer sie sind ?«
»Böse Männer«, sagte Rachael. »Sehr böse Männer.«
Will legte Devlin den Arm um die Schulter und küsste sie auf den Scheitel.
»Wer ist es, Dad ?«
»Javier. Aber uns wird schon nichts passieren«, sagte er. Er fragte sich, ob Devlin wohl auch auffiel, wie hohl seine Worte klangen. »Ich muss mit Mom reden. Bleib eine Minute hier, ja ?« Er reichte ihr das Fernglas. »Halte das Flugzeug und die vier Männer, die gerade ausgestiegen sind, im Auge, ja ?«
»Nein, Will. Das kommt überhaupt nicht in Frage. Absolut nicht.«
Will und Rachael standen im Flur, ein paar Meter von Kalyns Zimmer entfernt.
»Rachael, alleine schaffen wir es nicht.«
»Sie hat dich betrogen. Sie hat versucht, unsere Tochter auszutauschen.«
»Ich weiß, aber wir brauchen sie, und wenn wir hier stehen bleiben und darüber streiten, verlieren wir kostbare Zeit.«
Rachael verdrehte die Augen und blickte zur Decke.
»Wow, das habe ich ja seit fünf Jahren nicht mehr gesehen«, sagte Will.
Sie lächelte. »Das hat dir gefehlt, was ?«
»Du musst mir vertrauen. So schlimm es auch ist, was Kalyn getan hat, der Mann, der eben angekommen ist, ist zehnmal schlimmer. Wir
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