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Spur ins Eis

Spur ins Eis

Titel: Spur ins Eis Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Blake Crouch
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werden.«
    »Was ?«
    »Wieder zusammenzufinden, zusammenzuleben. Ich bin nicht sicher, ob es mir gelingt. Ich komme mir so vor, als sei ich nach zwanzig Jahren Haft aus dem Gefängnis entlassen worden. Ich weiß gar nicht, was ich mit mir anfangen soll. Wie ich wieder Mutter, wieder Ehefrau sein soll.«
    »Wir schaffen das schon, Rachael.«
    »Das sagst du, aber … dir ist ja gar nicht klar …«
    »Mir ist egal, wie schwer es ist.«
    »Das sagst du jetzt.«
    »Das meine ich auch so. Jetzt und später.«
    »Ich möchte, dass du es spürst.« Sie drückte seine Handfläche an die Seite ihres Bauches.
    »Es tritt«, sagte Will.
    »Ja. Um diese Zeit ist er immer wach. Für gewöhnlich weckt er mich mitten in der Nacht.«
    »Weißt du schon, dass es ein Junge ist ?«
    »Nicht mit Gewissheit, aber ich habe mit meinen Vermutungen bisher immer richtig gelegen. Es fühlt sich einfach so an wie die Energie eines Jungen.«
    »Wie viele Kinder hast du gehabt, seit du hier bist ?«
    »Das ist mein viertes.«
    »Was ist mit den anderen passiert ?«
    »Sie haben sie verkauft.«
    »Jesus. Wie weit bist du ?«
    »Mitte des sechsten Monats. Ich werde ihn behalten.«
    »Warum solltest du …«
    »Man hat mir drei meiner Babys weggenommen – eine Woche nach der Geburt. Sie haben sie bestimmt verkauft. Ich habe versucht, keine Bindung zu den Kindern zu entwickeln, aber es ist mir nicht gelungen. Sie wussten ja nicht, wo sie herkamen. Sie wussten nur, dass ich ihre Mutter war, und ich liebte jedes einzelne von ihnen. Das tue ich immer noch. Dieses hier möchte ich behalten und großziehen. Das ist möglicherweise das einzig Gute, was hieraus entstanden ist. Ich weiß, dass es schwierig für dich ist. In deinen Augen bin ich hoffnungslos beschädigt.«
    »So empfinde ich nicht, Rach.«
    »Nun, wenn aber doch …«
    »Nein, das tue ich nicht.«
    » Wenn aber doch … versteh doch, ich erwarte nichts von dir, was du nicht leisten kannst. Weißt du, das Ganze wäre fast leichter, wenn du jemanden kennengelernt und wieder geheiratet hättest. Dann hättest du wenigstens keine andere Wahl.«
    Will umfasste Rachaels Gesicht mit beiden Händen. »Du bist immer noch meine Frau. Devlins Mutter. Ich mache mir keine Illusionen darüber, wie schwierig es werden wird. Aber wir werden es versuchen. Ich will es.«
    »Und wie siehst du es, dass ich das Baby behalten will ?«
    »Bei dem Gedanken daran zieht sich mir der Magen zusammen, aber vielleicht ändert sich das ja. Du kannst mir dabei helfen. Du bist doch Psychologin. Nach allem, was du durchgemacht hast, kannst du nicht jetzt schon darüber nachdenken, wie dein Leben aussehen soll, wenn du hier heraus bist. Versuch einfach, von einem Augenblick zum anderen zu leben. Ich tue das.«
    »Warum hast du nicht wieder geheiratet ?«
    »Weil ich dich liebe.«
    »Du bist niemandem begegnet, der …«
    »Ich war niemals offen dafür.«
    »Warum ?«
    »Weil ich meine Frau immer noch liebte. Obwohl ich dich für tot hielt.« Er streichelte ihr Gesicht und berührte die winzige weiße Narbe unter ihrer Unterlippe, die er früher immer geküsst hatte. »Und jetzt schließ die Augen und denk lieber darüber nach, dass du zwischen deiner Tochter und deinem Mann liegst. Wir beide lieben dich, und du bist in Sicherheit. Das ist alles, was zählt. Und jetzt schlaf.«

58
    Die Sonne schien hell und klar durch die Scheiben der Verandatüren.
    Es war vollkommen still. Kein Wind. Kein Schnee, der gegen die Türen trieb.
    Blinzelnd setzte Devlin sich auf und schob die Decke zurück. Ihr Vater und ihre Mutter waren bereits aufgestanden. Gähnend rieb sie sich die Augen und machte sich auf die Suche nach ihnen.
    Sie standen mit dampfenden Kaffeebechern am Eingang der Lodge. Die Türen waren weit geöffnet, und der Schnee, der in der Sonne glitzerte, türmte sich meterhoch auf der Veranda. Der See lag still da, das tiefgrüne Wasser hatte einen dünnen Eisrand. Die Leichen von Ethan und den Wachen waren bereits weggeschafft worden. Ihr Blut war auf den Steinen gefroren. Rachael und Will drehten sich um, als Devlin auf sie zu trat.
    »Guten Morgen, Liebes«, sagte ihre Mutter. Als Devlin zwischen den beiden stand, fiel ihr zum ersten Mal auf, dass sie ein paar Zentimeter größer als ihre Mutter war. »Und wie lange bleibst du weg ?«, fragte Rachael ihren Mann.
    »Ich hoffe, dass ich heute Abend wieder zurück bin«, sagte Will. »Wenn wir allerdings Fairbanks erst nach Einbruch der Dunkelheit erreichen, weiß ich nicht.

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