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Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman

Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman

Titel: Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Peter Temple
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Zeichen für das erwartete Mittagsgeschäft. Gut für die Kasse, nicht für die Kunden.
    Drei Leute arbeiteten hinter der Glastheke. Eine Frau in den Sechzigern mit langem, traurigem Balkan-Gesicht häutete ein graugekochtes Hähnchen. Ein junger Mann machte Salatröllchen, und eine Frau Ende dreißig, Anfang vierzig, mit kurzem, gebleichtem Haar, attraktiv auf eine harte Weise, bediente die einzige Kundin und packte gerade ein Sandwich in eine Papiertüte. »Werden Sie es nicht leid, jeden Tag das gleiche Sandwich zu essen?«, fragte sie.
    »Nah«, erwiderte die Kundin. »Ich liebe das. Würd ich drei Mal täglich essen, wenn ich könnte.«
    Als sie weg war, fragte ich: »Ist Judy da?«
    Die Frau bedachte mich mit dem gequälten Blick, mit dem man überall auf der Welt Vertreter empfängt. »Ich bin Judy.«
    »Jack Irish. Ich bin Anwalt und vertrete Des Connors.«
    Der gequälte Blick verschwand. »Wie geht's ihm? Alles in Ordnung?«
    »Es geht ihm gut. Bisschen Ärger mit der Hüfte, aber sonst gut. Es geht um Gary.«
    Judy seufzte, ließ die Schultern hängen. »Wundert mich jedes Mal wieder, wie ein so netter Kerl wie Des einen Scheißkerl wie Gary zeugen konnte. Was hat er angestellt?«
    »Haben Sie einen Augenblick Zeit? Können wir uns irgendwo hinsetzen?«
    »Klar. Setzen Sie sich an den hinteren Tisch. Bis elf oder so ist hier nicht viel los.« Während sie sich ihre Latexhandschuhe abschälte, sagte sie zu dem jungen Mann. »Andy, kümmer du dich um die Kunden, ja?«
    Judy verschwand in einen Nebenraum und kehrte kurz darauf ohne ihre bis zum Hals reichende pinkfarbene Schürze zurück. Sie trug Jeans und ein weißes T-Shirt und beides stand ihr gut. »Schön, mal eine Entschuldigung zu haben, um sich kurz hinzusetzen«, sagte sie. »Erzählen Sie mir die traurige Geschichte.«
    »Des hat Gary Geld geliehen.«
    Sie schloss eine oder zwei Sekunden lang die Augen und schüttelte den Kopf. »Normalerweise sind es ja die Mütter, die die Hoffnung nie aufgeben wollen«, sagte sie. »Sie träumen davon, eines Tages aufzuwachen und ihr kleiner Mistkerl hat sich in einen Engel verwandelt. Nicht viel Geld, hoffe ich.«
    »Viel. Alles, was seine Schwester ihm hinterlassen hatte.«
    »Nun«, meinte Judy, »das war einmal, das Geld dürfte weg sein.«
    »Des hat mich gebeten, mal mit Gary zu reden, aber er ist seit einiger Zeit nicht mehr zu Hause gewesen.«
    »Zu Hause? Gary? Das ist ja wohl ein Witz. Das ist der letzte Ort, an dem man nach Gary suchen darf. Versuchen Sie's im Puff. In Oben-Ohne-Bars. Table Dance Clubs. Er wird irgendwo in der Nähe von Frauen zu finden sein. Einer bestimmten Sorte von Frauen.«
    »War er noch Polizist, als Sie ihn kennen gelernt haben?«
    Sie nickte. »Kam immer hierher. Ne Menge Cops aus der Russell Street sind immer hergekommen. Mann, dachte ich, ist das ein schicker Kerl. Und dann die Manieren. Oh, seine Manieren. Auf die schüchterne Art. Mütze unterm Arm. Hat er sich vom Rest der Bande abgehoben? Wie ein Messdiener in Pentridge. Mrs. Kodja – das ist die Frau hinter dem Tresen, der hat der Laden damals gehört – hat immer gesagt: »Dieser Gary, zwanzig Jahre weniger, und ich hätt mir den mit einem Seil ans Bett gebunden.«
    Ein Pärchen kam herein. Judy hörte die Tür, wandte den Kopf, winkte ihnen zu, schaute zum Tresen, um zu sehen, ob sie bedient wurden und sagte dabei, ohne mich anzublicken: »Was Mrs. K nicht wusste, war, dass Gary einen Luftsprung gemacht hätte, wenn er die Gelegenheit bekommen hätte, sie mit einem Seil an sein Bett zu fesseln. Auch ohne zwanzig Jahre abzuziehen. Man hätte auch noch zwanzig Jahre drauflegen können, er wäre zufrieden gewesen.«
    »Hat er die Polizei verlassen, als Sie noch verheiratet waren?«
    »Eines Tages bin ich nach Hause gekommen – wir wohnten in einer kleinen Wohnung in Richmond – da waren ungefähr sechs Cops in Zivil dabei, unsere Wohnung zu durchsuchen. Gary stand da, im Wohnzimmer, die Mütze in der Hand und zwinkerte mir zu. Na ja, als sie wieder weg waren, hat Gary zu mir gesagt, dass es nichts wäre, dass sich nur irgendein Depp, den er eingelocht hatte, an ihm rächen wollte. Hätte den Cops erzählt, dass er, Gary, Sachen – Fernseher, Videorekorder, so was – aus seinem Haus mitgenommen hätte.«
    Sie schniefte. »Und ich hab diesen Müll auch noch geglaubt. Ich hab ihm auch noch geglaubt, als er – ich kann's immer noch nicht fassen, dass ich ihm das geglaubt hab – also das war zwei Tage danach, da kam

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