Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman
Neben dem Tor war eine Holztür in die Mauer eingelassen. Ich probierte den Griff. Sie war offen. Wir gingen über die Auffahrt zu einer massiven, schwarzen Eingangstür unter einem Bogen. Ich drückte auf den Klingelknopf aus poliertem Messing.
Die Tür wurde von einem großen, schlanken Mann geöffnet, über dreißig, Designer-Wangenknochen, schwarze Kleidung, kurzes, blondes Haar. An jedem zweiten Finger steckte ein Ring, mit roten Steinen an der einen Hand und grünen an der anderen. Er blickte uns einzeln an. Charlie trug seine Geschäftskleidung: einen sauberen, weißen Maleroverall, mit nur einem verblassten Ölfleck hier und da und darüber die Jacke eines Nadelstreifenanzugs, von dem er behauptete, er hätte darin geheiratet. Eine Behauptung, die niemand je gewagt hätte zu bestreiten. Ich war in dunklem Anzug und gestreiftem Hemd erschienen. Da ich Charlies Messwerkzeuge trug, bildeten wir ein atemberaubendes Paar.
Der Mann legte den Kopf schräg, schlug die Hände zusammen und verschränkte sie unter seinem Kinn. Jetzt wechselten die Steine sich ab, rot, grün, rot, grün.
»Wie eine Ampel«, sagte ich. »Was ist mit Gelb?«
Er konzentrierte sich auf mich, ohne zu lächeln. »Und Sie sind wer? Oder was?«
Ich sah Charlie an. Er betrachtete den Garten.
»Wir sind hier, um Maß zu nehmen«, erklärte ich.
»Oh. Die Zimmerleute.«
Charlie verlor das Interesse am Garten. »Zimmerleute bauen für Sie ein Haus«, sagte er. »Brauchen Sie Zimmerleute?«
»Ja«, sagte der Mann. »Um ein paar Regale zu bauen. Wenn Sie das Material reinbringen, nehmen Sie bitte den Lieferanteneingang.«
»Falsches Haus«, sagte Charlie. »Gehen wir.« Er drehte sich um und ging den Weg zurück.
»Grüßen Sie Mrs. Purbrick von uns«, sagte ich. »Sagen Sie ihr, Mr. Taub ist auf absehbare Zeit ausgebucht.«
»Ah«, sagte der Mann.
»Und sagen Sie ihr, dass Mr. Taub ein Kunsttischler ist. Ein Kunsttischler verhält sich zu einem Zimmermann in etwa so wie eine Rolex zu einer Sonnenuhr. Finden Sie diese Erklärung irgendwie erhellend?«
»Ah«, sagte er wieder. »Die Bibliothek.« Er schlug die Hand vor den Mund.
Charlie war schon fast am Tor.
»Mr. Taub!«, rief der Mann und rannte hinter ihm her. »Bitte kommen Sie zurück, Mr. Taub. Ich habe einen Fehler gemacht, Mr. Taub! Bitte!«
Charlie blieb stehen, wandte den Kopf um. Sein Gesichtsausdruck war gnadenlos.
»Mr. Taub, es tut mir ja so leid, das ist alles ein Missverständnis. Wir erwarten Zimmerleute. Irgendwann. Regale in … in der Vorratskammer, glaube ich. Ich bin David, Mrs. Purbricks persönlicher Assistent.«
Charlie drehte sich um, musterte David, dann streckte er seine rechte Hand aus. David blickte darauf hinunter, zögerte wie ein Mann, dem man eine Schlange hinhielt. Dann streckte er seine Hand mit steifen Fingern aus, Daumen nach oben. Charlies Hand verschlang sie. Diese Hand hätte Davids schlanke, elegante Finger ohne jegliche Anstrengung in roten Schleim verwandeln können.
Tat sie aber nicht. »Pianistenhände«, sagte Charlie und hielt Davids Hand zur näheren Begutachtung hoch.
Ich konnte sehen, wie sich Davids Hals leicht rötete, wie ein Tropfen Blut in einem Milchkännchen. »Ein sehr schlechter Pianist«, sagte er.
»Quatsch«, sagte Charlie. »Die Hände. Sie haben die Hände dafür. Üben Sie jeden Tag. Wo ist der Raum?«
David führte uns durch die Haustür in einen Raum von in etwa der Größe meines Wohnzimmers, weniger eine Eingangshalle als eine Galerie, vier Meter hohe Decke, polierter Dielenfußboden, keine Kranz- oder Fußleisten, keine Möbel, ein halbes Dutzend Gemälde an der Wand. Große Gemälde, Gemälde in der Größe von Fenstern. Das Einzige, was ich erkannte, war ein Michael Winters, eine griechische Landschaft mit einer unbestimmt bedrohlichen Stimmung; ein Gemälde, das man lange anschauen konnte.
Wir traten durch eine doppelflügelige Tür in einen Flur, erhellt von Oberlichtern, die wahrscheinlich zu weiteren Türen gehörten. Auf halbem Weg zeigte David nach links. »Ich hole Mrs. Purbrick«, sagte er und ging weiter.
Es war ein leerer Raum von bescheidenen Ausmaßen, vielleicht fünf Meter breit, zwei Meter lang, die Fenster schmal mit Rahmen aus unbehandelter Ulme. Wie schon die Eingangshalle bar jeglicher Einrichtung. Charlie schritt den Raum ab. Ich ging zum Fenster links von mir. Der Garten war formal angelegt, gepflasterte Wege, alte Hecken und Bäume.
»Mr. Taub. Wie pünktlich Sie sind!«
Eine
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