Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman

blonde Frau unbestimmten Alters, durch Operationen, Injektionen und Peeling auf etwa vierzig Jahre verjüngt, war hereingekommen und streckte ihre Hand mit der Fläche nach unten Charlie entgegen. Alles an ihr war kurz: Haare, Stirn, Augenlider, Nase, Oberlippe, Kinn, Hals, Oberkörper, Finger, Beine, Füße, Rock. Was zu einem gewissen Ungleichgewicht führte, weil ihr Busen nicht gerade kurz genannt werden konnte. Man konnte ihn vieles nennen. Aber nicht kurz.
    Behutsam nahm Charlie ihre Finger zwischen Zeigefinger und Daumen. Mit der anderen Hand zeigte er auf mich: »Mein Assistent, Jack Irish.«
    Mrs. Purbrick streckte mir ihre linke Hand hin. Ich nahm sie. Eine Sekunde lang standen wir so da, eine sonderbare Maitanzgruppe ohne Maibaum. Dann ließ sie un sere Hände fallen und zeigte mit einer weit ausholenden, dramatischen Geste auf den Raum. »Mr. Taub, dies ist alles Ihres. Ihres. Alles Ihres. Machen Sie damit, was Sie wollen.«
    Sie vollführte eine Pirouette, die Arme angewinkelt, die Finger nach außen gespreizt. »Ich möchte umgeben sein von Büchern. Ich liebe Bücher. Bücher. Ich muss einen Raum haben, in dem ich Bücher atmen kann. Vom Boden bis zur Decke. Ich habe Sir Dennis' Bibliothek gesehen. Ich wusste, dass nur eine von Ihnen gut genug sein würde.«
    Sie lächelte uns abwechselnd an, mich ein bisschen länger. In ihren Augen lag ein gewisser Glanz.
    »Die Anzahlung beträgt fünfzehntausend Dollar«, sagte ich.
    »Die Bücher«, sagte Charlie. »Große Bücher, kleine Bücher? Eine Bibliothek macht man passend zu den Büchern.«
    Mrs. Purbrick hatte ihre Position verändert, um dicht neben mir zu stehen. Ich hatte keinerlei Bewegung wahrgenommen, aber ihre Hüfte berührte mein linkes Bein.
    »Mr. Irish«, sagte sie. »David gibt Ihnen einen Scheck für die Anzahlung. Mr. Taub, bauen Sie sie, und die Bücher werden dann schon kommen. Passend. David wird dafür sorgen, dass die Bücher die richtige Größe haben, seien Sie unbesorgt.« Sie blickte zu David hinüber, der im Türrahmen stand. »Größe ist Davids Angelegenheit.«
    Von der Tür her sagte David: »Absolut. Größe ist mein Gebiet. Ist es nicht so, Mrs. Purbrick?«
    Sie wandte den Kopf und lächelte ihm zu. Man konnte sehen, dass es sie Kraft kostete, den Mund zu verziehen, und dass die Lippen jederzeit zurückschnappen konnten wie bei einem altmodischen Portemonnaie. »Bring den Wagen nach hinten, sei so nett, mein Lieber.«
    Seine Lippen zuckten, und er verschwand. Ihr Hüfte bewegte sich an meinem Oberschenkel, eine Berührung, ein Reiben, nur ein paar Millimeter. Ich fand die Erfahrung beunruhigend, aber nicht unangenehm.
    Charlie nahm mir Zollstock und Bandmaß aus der Hand. »Schreib«, sagte er.
    Ich holte mein Notizbuch hervor. Mrs. Purbrick berührte mich wieder mit ihrer Hüfte, lächelte und sagte: »Ich gebe mich ganz in Ihre unglaublich talentierten Hände, meine Herren. Wenn Sie irgendetwas brauchen, rufen Sie nach David.«
    An der Tür drehte sie sich noch einmal um. Unsere Blicke trafen sich. Mir war, als zeige die Linie ihres Haaransatzes ein Blinzeln an.
    Charlie nahm etwa hundert Maße, und ich wiederholte jede Zahl laut, bevor ich sie aufschrieb. Es würde alles in der Werkstatt angefertigt und in Einzelteilen hergebracht, um innerhalb von einigen Tagen aufgebaut zu werden, was bedeutete, dass schon eine Abweichung von wenigen Zentimetern sich katastrophal auswirken könnte. Als wir fertig waren, suchten wir David, der uns höflich und respektvoll nach draußen geleitete.
    Ich fuhr noch bei Gary Connors Apartment-Haus vorbei und fand einen Parkplatz direkt davor. »Was ist das denn?«, fragte Charlie. »Brauchen die jetzt Bunker in Toorak?«
    »Dauert nur fünf Minuten«, sagte ich. An der Haustür drückte ich auf den Knopf, auf dem »Manager« stand. Eine volle Stimme sagte: »Kann ich Ihnen helfen?«
    »Ich würde gern mit Ihnen über Mr. Connors in Apartment Nummer fünf sprechen.«
    »Worum geht es?«
    »Seinen Aufenthaltsort.«
    »Darf ich fragen, wer Sie sind?«
    »Ich bin Anwalt und vertrete seinen Vater.«
    »Kommen Sie rein.«
    Das Türschloss klickte. Ich trat in die Lobby. Die linke Tür wurde von einem etwa sechzig Jahre alten Mann geöffnet, sorgfältig frisiertes graues Haar auf einem hügelartigen Kopf, militärischer Schnurrbart, Lesebrille halb auf der Nase. Er trug graue Flanellhosen, ein weißes Hemd und einen gestreiften Schlips, einen Schulschlips. Er streckte die rechte Hand aus.
    »Clive