Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman
mal in aller Ruhe darüber nachdenken.«
Zehn Jahre lang.
Zu Hause ein trauriger, nebliger, liebloser Samstagabend; ein Hühnereintopf und zwei Gläser Wein nahmen sich meiner an.
n einem der Nachbartische saßen ein fetter Mann, um die dreißig oder um die fünfzig, und eine Frau von ähnlichen Ausmaßen, möglicherweise seine Tochter, möglicherweise seine Frau. Oder deren Mutter. Der Mann hatte sich mit Leib und Seele dem Plastik verschrieben: eine Nackenstütze aus Styropor, Polyester bei Hemd, Jacke und Hosen, braune Nylonsocken in grünen offenen Plastiksandalen. Seine Begleiterin steckte in einem leuchtend violetten Jogginganzug, riesigen weißen Turnschuhen, die sich an beiden Enden hochbogen, trug Schweißbänder an jedem Handgelenk und ein weißes Stirnband, auf dem ich nur die verwirrenden Worte ZU GEWINNEN entziffern konnte.
Das Paar sah hungrig aus, geradezu ausgehungert, zu hungrig, um sich zu unterhalten. Stattdessen huschten ihre Blicke umher, zu uns, zu den draußen vorübergehenden Passanten, zum jeweiligen Gegenüber und dann, nachdem sie alles missbilligt hatten, wieder zurück zu dem Mann, der hinter der Theke plattgedrückte Hackfleischklumpen auf einer Platte briet. Er hatte einen nachdenklichen Gesichtsausdruck, ein Mann mittleren Alters mit traurigen Augen, der sowohl seines Vaters Kahlköpfigkeit als auch dessen Perücke geerbt und diesen schlecht laufenden Franchiseladen von Heavenly Hot gekauft hatte: sechs Tische am falschen Ende eines Einkaufsparadieses in Doncaster, deren Verkäufer jetzt wahrscheinlich irgendwo im Ausland lebten und rechtlich nicht dazu verpflichtet waren, sie wieder zurückzunehmen. Die verblichene Perücke des Mannes, jedes einzelne Haar einst eine schimmernde Strähne an der Kopfhaut einer Frau, die in irgendeinem von Armut geplagten ukrainischen Dorf geschoren worden war wie ein Schaf, war nach hinten gerutscht. Sie saß jetzt einige Zentimeter über dem höchstmöglichen Haaransatz und erinnerte mehr an ein keckes Pelzhütchen als an ein Haarteil.
»Typisch Jockey, so ein Lokal auszusuchen«, sagte Cam, während er sich interessiert umschaute. »Paranoid. Er wohnt in Hoppers Crossing, am anderen Ende der Stadt. Lust auf irgendwas?«
»Tee könnte ungefährlich sein«, sagte ich. »Nur einen Tee.«
Cam fing den Blick des Besitzers auf. »Was für Tee haben Sie denn?«, fragte er.
»Tee?«, antwortete der Mann und sah schon etwas froher aus. »Tee? Was für Tee? Tee-Tee, das ist es, was ich hab. So kleine Beutelchen.«
»Zwei«, sagte Cam. »Tee-Tee für zwei bitte.«
Ein weiterer Kunde kam herein, ein kleiner Mann in einem glänzenden schwarzen Ballonseidenanzug, glattes dunkles Haar, das Gesicht eines gefährlichen Schuljungen. Unser Jockey aus dem Rennen in Kyneton, Johnny Chernov. Er ging zum Kühlschrank, nahm sich eine Dose Cola, ging zur Theke und zeigte auf etwas Klebriges.
Er setzte sich an den Tisch neben uns, rückte seinen Stuhl so hin, dass er Cam sein rechtes Profil zuwandte, zog ein kleines Handy aus der Tasche, legte es auf den Tisch und knackte dann seine Dose auf.
»Wir haben uns das Video angesehen, Johnny«, sagte Cam. »Das hat uns ganz und gar nicht gefallen.«
»Was hat Ihnen denn da nicht gefallen?«, fragte Chernov. Er trank einen Schluck Cola.
»Es hat uns nicht gefallen, wie Sie in dem Gedrängel in der Kurve stecken geblieben sind.«
»Dann sagen Sie das den Stewards. Und reiten Sie die verdammten Biester doch selbst.«
Der Besitzer brachte dem Paar die Hamburger. »Wie wär's mit Chips?«, fragte die Frau und leckte sich die Lippen.
»Soße«, sagte der Mann. »Ich brauch Soße.«
»Kommt«, sagte der Wirt. »Hab schließlich nur zwei Hände.«
Cam studierte Johnny Chernovs Profil. »Johnny«, sagte er neutral, »diese Einstellung hilft uns nicht weiter. Ich bin im Auftrag des Besitzers hier und gebe Ihnen die Gelegenheit, mir zu erklären, warum Sie das Rennen verloren haben. Sie können dem Pferd die Schuld geben, der Bahn, allem Möglichen.«
»Hab's dem Trainer schon gesagt«, murmelte Chernov. »Ich reite für Trainer.«
»Ich habe gehört, was Sie dem Trainer gesagt haben. Deshalb sind wir hier.«
»Gibt's nicht mehr zu sagen«, sagte Chernov. Er zog eine Zigarette hervor, zündete sie mit einem goldenen Dunhill-Feuerzeug an, blies den Rauch an die Decke, trank noch einen Schluck aus seiner Dose, steckte sich wieder die Zigarette in den Mund.
Cam blickte mich an, ein angedeutetes Lächeln im Gesicht. Dann
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