Spur ins Nichts - Ein Jack-Irish-Roman
getragen wird. Man meint, man könnte schwimmen. Man glaubt, man halte sich aus eigener Kraft an der Wasseroberfläche und die Liebe sei der Bonus dafür, dass man schwimmen gelernt hat. Und das kann lange Zeit so gehen. Doch dann, eines Tages, ist die Liebe plötzlich nicht mehr da und man geht unter, schlägt wild mit den Armen um sich und geht unter, all die alten Quellen der Liebe versiegt, und die neueren stellen sich als unzuverlässig heraus. Ziehen weiter. Niemand hält einen mehr an der Oberfläche, man ist nichts anderes mehr als ein magerer kleiner Junge, nichts als Rippen, Knie und Füße, ein Junge, der den Grund nicht berühren kann, draußen im tiefen Wasser.
Reiß dich zusammen. Überstehen ist alles. Wer hat das mal gesagt? Rilke?
Das Telefon klingelte. Drew.
»Mach den Fernseher an. Kanal Sieben.«
Ich fand die Fernbedienung und drückte drauf.
er Audi tauchte auf würdelose Art und Weise auf, mit dem Heck voran, ein Drahtseil um die Hinterachse geschlungen prallte dieses Meisterwerk deutscher Ingenieurskunst knirschend an das Kalkgestein der Klippe, während aus den gähnend weit geöffneten Türen das Wasser abfloss. Fäden von gummiartigem, schmierig aussehendem Seegras hingen an den Türholmen und baumelten aus den Radkästen. Auf halbem Weg nach oben fiel die Windschutzscheibe heraus, ohnehin schon zerborsten, undurchsichtig mit einem großen Loch auf der Beifahrerseite. Anscheinend zog sie die Loslösung der Entehrung vor und übergab sich selbst dem Ozean.
Der Nachrichtensprecher las:
In dem Fahrzeug wurden keine Leichen gefunden. Die Polizei vermutet, dass die Türen des Wagens beim Aufprall aufsprangen und der Fahrer sowie mögliche Beifahrer von der kräftigen Strömung entlang dieses Küstenabschnitts, der The Teeth genannt wird, hinausgesogen worden sind .
Wir sahen den Wagen von Nahem, als er über die abbröckelnde Kante gezogen wurde.
Die Kommentarstimme sagte:
Die Polizei wurde heute am frühen Nachmittag von einem Hubschrauberpiloten auf dem Weg nach Portland alarmiert, der das Fahrzeug am Fuß der Klippe im Wasser liegen gesehen hatte. Der Fundort liegt zwischen Port Fairy und Portland. Mitglieder einer Rettungsstaffel der Polizei seilten sich in die Tiefe ab, um ein Stahlkabel zu befestigen.
Der Helikopter des Fernsehens stieg auf, die Perspektive erweiterte sich: eine hügelige Küstenlandschaft, niedrige Vegetation, fünf oder sechs Fahrzeuge neben einem Feldweg in gebührendem Abstand zu den bröckelnden Klippen. Und dann das Meer, dunkelblau, mit cremeweißen Wellen, die gegen tiefschwarze Felsen schäumten. An Land weideten Kühe neben dem Feldweg, helle Kühe. Das Stahlseil kam aus einem unförmigen quadratischen Vehikel, um das einige Leute herumstanden.
Das Fahrzeug ist auf ein Unternehmen aus Melbourne zugelassen, Beconsecure International. Wer Informationen über den Aufenthaltsort des Geschäftsführers dieses Unter nehmens, Mr. Gary Connors, wohnhaft in Toorak, Mont calm Avenue Nr. 23/5, geben kann, möge sich bitte unter der eingeblendeten Nummer mit der Polizei in Verbindung setzen.
Eine ganze Weile saß ich in dem schützenden Ledersessel, im sanften Licht des Fernsehers, ein kalt gewordenes chinesisches Essen auf dem Schoß. Eigentlich wollte ich nur noch ins Bett gehen und eine Woche durchschlafen. Stattdessen rief ich Des Connors an. Es klingelte lang.
»Hallo.« Er klang weit weg und schwach.
»Des, hier ist Jack Irish.«
Ein Husten, ein Räuspern. »Jack.« Noch mehr Räuspern. »Hab ein Nickerchen gemacht. Vor dem Fernseher.«
»Des, hat sich die Polizei schon bei Ihnen gemeldet?«
»Die Polizei? Nein.«
»Garys Auto ist heute gefunden worden.«
»Was?«
»Garys Auto. Sie haben es zwischen Port Fairy und Portland gefunden. Im Meer. Ist eine Klippe runtergestürzt. Sind aber keine Toten gefunden worden.«
Schweigen. Weiteres Räuspern.
»Alles in Ordnung?«, fragte ich.
»Im Meer?«
»Am Fuß einer Klippe. An einem Ort namens The Teeth. Es gibt einen Feldweg, der von da entlang der Küste verläuft. Auf Privatbesitz. Eine Farm.«
»Eine Farm, so«, sagte Des. »Ist jetzt 'n bisschen 'n Schock. Hab immer schon gedacht, dass es mal ein böses Ende mit ihm nimmt. Gut, dass seine Mutter nicht hier ist, um das zu hören.«
»Wir wissen nicht, ob Gary in dem Wagen saß, Des«, sagte ich. »Der Wagen könnte auch gestohlen und versenkt worden sein. Passiert ständig, so was.«
Niemand stahl ein Auto in Melbourne und stürzte es dann
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