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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland
Autoren: Beate Sommer
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Hände um den Hals zu legen. Sie gehorchte, und er nahm sie Huckepack. Zweihundert Meter. Höchstens drei. Falls er es nicht schaffen würde, konnte er sie immer noch erschießen. Aber die Idee, die ihm erst auf der Fahrt hierher durch den Kopf geschossen war, erschien ihm ungleich verlockender.
    ***
    Sackgasse, verdammt! Nicht der Baum, der quer gelegen hatte, sondern einfach Schluss, Ende, zugewachsen, falls es je weitergegangen war. Hartmann hieb fluchend auf das Lenkrad, bevor er sich zusammennahm und rückwärts zurück zur Straße raste, dass es nur so krachte. Im Getriebe und im Genick. Er wurde alt. Vielleicht war es an der Zeit, die halsbrecherischen Aspekte seines Berufs an Jüngere zu delegieren. Oder den Beruf ganz an den Nagel zu hängen. Wenn es nicht um Marilene ginge, hätte er sich das hier gewiss nicht aufgehalst.
    Mit einem kurzen Stoßgebet, dass es nicht zu einer Kollision kommen möge, schoss er auf die Straße hinaus und wendete. Suchte mit den Augen den Waldsaum ab, irgendwo hier musste die Abzweigung sein, er war sich sicher, hatte sich eigens die Anordnung einer Baumgruppe an der Zufahrt eingeprägt und zweifelte nun an seinem Erinnerungsvermögen. Hier? Ja! Er bremste abrupt und bog ab, doch, redete er sich gut zu, hier war er richtig, vermeinte, das bandscheibenschädigende Gerüttel, sogar die zu einem Tunnel sich neigenden Bäume wiederzuerkennen. Er verbot sich den Anflug von Klaustrophobie, öffnete kurz das Fenster und holte das Blaulicht herein, um sein Kommen nicht anzukündigen.
    Im dunklen, dunklen Wald, ein dunkles, dunkles Haus, er schaltete die Scheinwerfer aus, fuhr geringfügig langsamer, jetzt ein Unfall wäre fatal, kniff die Augen zusammen, und trotzdem konnte er kaum fünf Meter weit blicken, kaum mehr, als ein schwarzes Nichts erkennen. Ein Reh, ein Einhorn?, huschte direkt vor ihm über den Weg, er riss den Kopf zurück, wie um der Kollision auszuweichen, und sein Puls raste, schon war es weg, das Wild, das Fabelwesen. Er atmete stoßweise aus, nichts passiert, alles unter Kontrolle, etwas blitzte, oder nicht? Kein Mündungsfeuer, nur das nicht, flehte er, nein, ein Auto, ein Vectra, Gentners Vectra, die Beifahrertür offen, doch die Innenbeleuchtung aus. Was hatte er aufblitzen sehen?
    Er forderte Verstärkung an, samt Rettungswagen. Dann entsicherte er seine Waffe und stieg aus.
    ***
    Ein Reh stand witternd mitten auf der Lichtung und verschwand mit schnellen Sprüngen, sobald er aus dem Schatten trat. Er keuchte unter seiner Last, Seitenstechen plagte ihn schon eine ganze Weile, und seine Arme waren total taub. Ein paar Schritte noch, dann ließ er ihre Beine los, und sie rutschte zu Boden. Er ließ sie liegen und ging zur Rückseite der Hütte, bückte sich und entdeckte auf Anhieb das große Astloch, in dem zumindest im letzten Herbst der Ersatzschlüssel versteckt gewesen war. Martin wusste nicht, dass er ihn beobachtet hatte, als er dort herumhantiert hatte, wie er überhaupt eine ganze Menge nicht wusste.
    Er kratzte mit dem Autoschlüssel das Eis vom Pfropfen, bis er ihn endlich heraushebeln konnte, und siehe da, der Schlüssel steckte noch drin, schien jedoch festgefroren. Er tastete seine Taschen nach seinem Feuerzeug ab, ja, da war es, das hätte jetzt gefehlt, all die Mühe, nur um dann nicht hineinzukönnen, und hielt die Flamme an das Astloch. Der Wind fuhr ihm mehrmals dazwischen, doch dann gab der Schlüssel so plötzlich nach, dass er hintenüberfiel. Obendrein hatte er sich die Finger verbrannt, verdammter Mist, und er steckte die Hand in den Schnee, um sie zu kühlen, bevor er sich, noch immer fluchend, wieder aufrappelte und steifbeinig zurück nach vorn humpelte.
    Sie hatte sich nicht vom Fleck gerührt. Er schloss die Hütte auf, zündete eine der Öllampen aus dem Vorraum an und ging durch bis in die Schlafkammer. In dem Schrank dort hatte bei seinem letzten Besuch ein Tau gelegen, ihm war schleierhaft gewesen, wozu es gut sein sollte, und er hatte auch nicht nachgefragt, aber nun würde es zum Einsatz kommen. Die ultimative Rache für Martins gönnerhafte Herablassung all die Jahre.
    Er war nicht mehr der dumme kleine Junge, dem man die Welt erklären musste. Und die Frauen. Vor allem die Frauen. Wie oft hatte er zugesehen, wie Martin irgendeine beliebige kleine Schlampe schikanierte, bis sie in Tränen ausbrach. Wie oft hatte er sich die Geschichten über solche Erlebnisse anhören müssen, um auch noch Beifall zu klatschen. Das schien für
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