Spur nach Ostfriesland
so leicht, da muss ich noch viel lernen, vor allem viel lesen. Neulich hat Frau Martens mal ein Buch empfohlen, das ich auch gelesen hatte, und dann sollte ich das erzählen. Das hab ich vergeigt, hab den Schluss verraten. War aber nicht so schlimm, weil’s ein Geschenk sein sollte. Ich hör viel zu, und damit das nicht so blöd aussieht, hab ich meistens das Staubtuch in der Hand und räum ein bisschen auf.«
So viel hat Marie noch nie über ihre Arbeit erzählt, wunderte Marilene sich, nicht am Stück jedenfalls. »Und wie läuft es unter euch, wie ist das Klima so?«, erkundigte sie sich.
»Ganz okay, eigentlich. Frau Martens erzählt viel, vor allem, wenn sie zwischendurch mal eine rauchen will, auch so über Hintergründe, über die man bei der Arbeit selbst gar nichts mitkriegen würde, und sie kann ziemlich gut erklären. Sie will immer, dass ich weiß, warum etwas so und so gemacht wird. Frau Borden sagt immer nur, jetzt drückst du auf die Taste und dann auf die, und das kommt dahin. Man kann sich die Sachen aber leichter merken, wenn man sie versteht, finde ich. Frau Martens möchte, dass etwas gründlich und richtig gemacht wird, bei Frau Borden muss es einfach schnell gehen, das ist dann manchmal ein bisschen blöd, wenn ich nicht so genau weiß, nach wem ich mich jetzt richten soll.«
»Und Franziska?«, fragte Marilene.
»Die will beides. Am Anfang hat sie mich ziemlich links liegen lassen, aber jetzt schleppt sie mich immer mit, als hätte ich irgendeinen Test bestanden. Sie ist«, Marie suchte nach Worten, »ziemlich energisch, sie bestimmt, wo’s langgeht. Zum Beispiel erwartet Frau Martens einfach, dass ich mir was abgucke, aber Franziska sagt, ich soll nicht sagen ›neun Euro neunzig‹, sondern ›das macht dann bitte neun Euro neunzig‹. Ich soll ganze Sätze sagen und immer lächeln, die Leute angucken, wenn ich mit ihnen rede, solche Sachen. Sie ist direkt, aber da weiß ich auch immer, woran ich bin. Sie sagt mir, wenn ich Mist gebaut habe, aber sie lobt mich auch, wenn was gut lief. Sie hat mir geraten, eine Liste über die Bücher zu führen, die ich gelesen habe, mit kurzem Inhalt, und wie’s mir gefallen hat, und das ist echt nicht schlecht. Ich bin jetzt bei vierunddreißig, und ohne die Liste wüsste ich bei manchen jetzt schon nicht mehr, worum’s gegangen ist.«
»Das weiß ich nach zwei Büchern schon oft nicht mehr«, klagte Anita.
»Frau Martens lästert immer. ›Ja, ja‹, sagt sie, ›dass wir Alten doch tatsächlich ein besseres Gedächtnis haben als das junge Gemüse hier.‹ Die ist irre. Wenn ein Kunde kommt und sagt, sie hätte ihm vor einem Jahr ein Buch empfohlen, da wär das und das drin vorgekommen, die kommt da drauf, jedenfalls ganz schön oft, das geht dann so: ›Moment, ja, ein grünes Cover? Eine Kirche?‹ Und dann weiß die Autor und Titel und erzählt die ganze Geschichte. Oder wenn ihr Mann sie fragt, wie noch mal das Buch hieß, das er gelesen hat, über Alzheimer oder so, das weiß die auch.«
»Ich dachte, er arbeitet nicht im Geschäft mit?« Marilene beschloss, Maries Gesprächigkeit zu nutzen, egal, was sie Jens versprochen hatte.
»Tut er auch nicht, aber er liest viel, zum Beispiel die historischen Bücher, auf die Frau Martens keine Lust hat, und dann erzählt er uns, wie die waren und für welche Art Leute die geeignet sind. Und er fragt mich immer ab, was ich als Letztes gelesen hab, und dann macht er Druck, dass es Zeit für eine Buchbesprechung für die Homepage ist. Das machen wir aber alle nicht gern. Dann haut er mit der Faust auf den Tisch und fragt, wieso hier keiner tut, was er sagt. Er ist eigentlich ganz cool. Wenn er von der Schule kommt, mischt er uns immer mit albernen Sprüchen auf, bis Frau Martens sagt, er soll verschwinden, wir hätten zu tun. Er ist witzig, ich glaube bloß, Franziska weiß nicht immer, was sie von seinen Sprüchen halten soll, sie nimmt ihn manchmal zu ernst.«
»Ach ja?« Marilene ermunterte sie, fortzufahren.
»Ja, wenn sie glaubt, dass ein Witz auf ihre Kosten geht, dann gibt sie ganz schön Kontra. Im Geschäft ist das auch so, sie ist zwar höflich, aber sie lässt sich auch nichts gefallen. Außer es wird, na ja, sexuell oder so, Anmache eben, dann fällt ihr irgendwie nichts ein.«
»Du sprichst aber jetzt von Kunden, nicht von Herrn Martens?«, vergewisserte Marilene sich.
»Klar, der liebt seine Frau echt, das merkt man total. Der kehrt doch bloß den Lehrer raus, und das kann Franziska
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