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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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denen Kräuter gediehen, die sie nicht benennen konnte, vom Fensterbrett und öffnete das kleine Fenster, das eher einer Luke glich, wie gemacht für renitente Raucher wie sie. Eine der letzten ihrer Art. Früher in der Schule waren sie auf dem Klo verschwunden, doch die Umgebung hatte den Genuss gemindert, und so hatte sie sich nach einer Weile ferngehalten, auch zu viel Angst vor Entdeckung gehabt, während Rosalie ganz unbekümmert die meisten Pausen dort verbracht hatte, bis zum Rausschmiss durch die Aufsicht jedenfalls.
    Was war nur los mit ihr, dass heute an jeder Ecke eine Erinnerung lauerte? Womöglich war das eine der ersten Alterserscheinungen, diese Melancholie, die noch nicht Depression war. Oder sie fühlte sich durch den noch ungewohnten Umgang mit den Kindern so alt. Alt, und keineswegs weise. Nein, entschied sie, es lag allein am Wetter. Nur, seit wann war sie wetterfühlig? Sie seufzte abermals, drückte ihre Kippe aus und schloss das Fenster. »Gehst du nun morgen arbeiten?«, wandte sie sich an Marie.
    »Denk schon.«
    »Und wann hast du Feierabend?«
    »Um sechs.«
    »Gut, dann hol ich dich ab.«
    »Das ist voll peinlich.« Marie setzte sich aufrecht.
    »Das kann ich doch machen«, wehrte Anita ab.
    »Wir wechseln uns ab«, versprach Marilene.
    Marie ließ nicht locker. »Zählt meine Meinung denn gar nicht?«
    »Du zählst«, schaltete Niklas sich ein, »deine Meinung ist vollkommen irrelevant.«
    »Mir passiert schon nichts.«
    »Das Gleiche hat Franziska bestimmt auch gedacht.« Marilene hatte geahnt, dass Marie sich sträuben würde. Zeit, schwerere Geschütze aufzufahren. »Die Alternative ist, dass du die Lehrstelle wechselst.«
    »Wieso das denn, Mann? Das ist eine Buchhandlung, keine Aufreißer-Disco! Eine Buchhandlung in einem totalen Kaff! Was glaubt ihr denn, wie viele Irre da rumrennen?«
    »Es gibt mehr Irre, als du dir vorstellen kannst«, entgegnete Marilene, »und die wohnen nicht alle in der Großstadt.«
    »Wer soll mich denn schon entführen?«
    Marilene verdrehte die Augen. »Hör mal zu, du bist ein sehr hübsches, intelligentes Mädchen.« Sie bemerkte wohl, wie Marie ihre Mimik kopierte, schritt jedoch nicht ein. »Wir wissen nicht, was der Auslöser ist, wir wissen nicht, wer das getan hat, aber was wir wissen, ist, dass Franziska nicht die Erste ist. Vor einem Jahr ist schon einmal eine junge Frau verschwunden, die bei euch ein Praktikum gemacht hat.«
    »Echt?«
    »Echt.«
    »Voll krass.«
    »So kann man das auch sagen.« Marilene fragte sich, ob sie im Geschäft auch so redete, oder ob diese Ausdrucksweise inzwischen auf Freizeit beschränkt war. »Ich erwarte also«, fuhr sie fort, »dass du im Geschäft wartest, falls sich mal einer von uns verspätet. Ich erwarte, dass du in der Mittagspause nicht in der Gegend herumrennst. Und vor allem lass dich nicht anquatschen, nicht mal von Weitem. Das ist der Minimal-Konsens. Wenn du dich nicht daran hältst, bist du weg.«
    Marie nickte kleinlaut. »Meinst du echt, da hat es jemand auf Buchhändlerinnen abgesehen?«
    »Ich habe keine Ahnung«, gestand Marilene, »vielleicht hat nur jemand eine günstige Gelegenheit wahrgenommen, aber es kann zumindest nicht ausgeschlossen werden, dass es sich um einen Kunden von euch handelt.«
    »Krass«, wiederholte Marie. »Ich krieg ja schon manchmal mit, dass da gebaggert wird, aber wer denkt denn gleich an so was? Hey, nicht bei mir«, sie bemerkte die entsetzten Blicke und hob abwehrend die Hände, »mich nehmen die gar nicht wahr. Wisst ihr, da ist so eine richtige Hackordnung. Wenn Frau Martens da ist, lassen die Leute Frau Borden links liegen, wenn Frau Borden da ist, wird Franziska ignoriert, und ich komm ganz unten. Ich müsste schon alleine da sein, damit jemand freiwillig mit mir redet, bin ich aber nicht. Wenn wirklich mal alle beschäftigt sind, und ich Kunden frage, ob ich ihnen helfen kann, dann lassen das höchstens Frauen mit sich machen, die jungen aber nur, der Rest sagt, ›Ich guck mich nur mal um‹, und wartet ganz unauffällig, bis eine von den anderen frei ist. Ich darf höchstens einpacken und muss mir dann anhören, ›Das hast du aber fein gemacht‹, als wär ich ein kleines Kind, echt.«
    »Stört dich das nicht?«, erkundigte Niklas sich.
    »Manchmal schon«, gab sie zu. »Bei den leichten Sachen, ‘ne Bestellung kann ich zum Beispiel auch selber schon aufnehmen, da holen mich die anderen dann aber auch, damit ich Praxis kriege. Aber eine Beratung ist nicht

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