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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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eingingen, waren an Leichtsinn kaum zu überbieten. Als glaubten sie nicht, dass das Leben endlich sei, eine Mär oder bloße Drohung der Erwachsenen, um ihre Freiheit einzuschränken. Marie sollte es besser wissen.
    Die Fahrt zurück zu ihrer Wohnung verlief schweigsam. Niklas hatte die Augen vor dem einschläfernden Hin und Her der Scheibenwischer geschlossen, während Marilene Mühe hatte, ihre umherirrenden Gedanken zu ordnen und sich auf den Verkehr zu konzentrieren. Die Sicht war erbärmlich, die Scheiben beschlugen von innen, die Belüftung kam nicht dagegen an, und immer wieder wischte sie mit der Hand über Windschutzscheibe und Seitenfenster, um rechtzeitig erkennen zu können, ob jemand entgegenkam oder zu überholen drohte. Was bis eben noch bestenfalls Schneeregen gewesen war, Schlieren hinterlassend, die die Wischer leicht bewältigen konnten, wurde mehr und mehr zu wirbelnden Flocken, deren hypnotischer Tanz sie in einen endlosen weißen Tunnel hineinzusaugen schien, ein Tunnel, der jedes Geräusch, jede vage Erinnerung an die Außenwelt verschluckte. Wäre dies Wasser, nicht Schnee, es wäre ein tödlicher Sog, ein letztes Aufbäumen, um sich schlagen, dein Wille geschehe, Sekunden vor dem Ende, ich habe nicht gewunken.
    »Was meinst du«, Niklas gähnte und war kaum zu verstehen, »wenn ich dort arbeiten würde, müsste ich mir so einen Mist auch gefallen lassen, nur eben von Frauen?«
    »Gute Frage.« Marilene grinste. »Vielleicht sollten wir das bei Gelegenheit herausfinden.«
    ***
    Sie lief einen menschenleeren Strand entlang. Ihre Füße trugen sie mühelos über den gerippten Sandboden am Saum des Wassers. Wenn eine Welle sacht heranrollte, wich sie gerade eben aus, lief mit wehendem Haar und weit geöffneten Armen einem prachtvollen Sonnenaufgang entgegen, als wollte sie den Horizont erreichen, bevor die Sonne mit ihrem lodernden Licht alle Rotschattierungen vom Himmel wischte. Zu spät. Die ersten Strahlen trafen sie mit unerbittlicher Kraft, und sie legte schützend einen Arm vor die Augen. Es half nicht, das Wasser schien zu brennen, und jedes einzelne Sandkorn schoss mit Blitzen um sich. Sie wandte widerwillig den Kopf ab, und ihr blinzelnder Blick flog über eine gleißende Dünenlandschaft, die sich unversehens verwandelte, einem kubistischen Gemälde glich, weißer Stein auf weißem Stein – sie war wach.
    Sie hatte sich nicht getäuscht. Sie befand sich in einem Keller, dessen einziges hohes Fenster oberhalb ihrer Schlafstatt irgendwann zugemauert worden war, wie die unterschiedliche Größe der Ziegel verriet. Sie drehte sich auf den Rücken. Das Licht, das sie geweckt hatte, kam von einer vergitterten Lampe an der Decke. Unerreichbar. Dennoch war die Verschraubung des Gitters unter Putz, und sie fragte sich, wie die Birne gewechselt werden könnte, falls sie den Geist aufgäbe. Der etwa fünf mal sieben Meter große Raum hatte durch die Helligkeit etwas von seinem Schrecken verloren, obwohl die Fugen im Mauerwerk vermutlich Heimstatt für mancherlei Getier waren, und sie fror auch nicht mehr so erbärmlich. Sie zog ihre inzwischen trockenen Socken an und tappte über den mit wasserabweisender grauer Farbe gestrichenen Boden zur Heizung. Heiß – so heiß, dass sie sich beinah verbrannt hätte.
    »Zu gütig«, sagte sie. Aber was ironisch klingen sollte, hörte sich nur kleinlaut an, und ihre Stimme wurde von den weiß getünchten Wänden auf sie zurückgeworfen wie ein höhnisches Echo. Kein Wunder, hier war nichts, was Geräusche schlucken konnte, nichts außer ihrer mickrigen Matratze, die, ohne Bezug oder Decke, wirkte wie beim Entrümpeln zufällig vergessen. Allein, hier beruhte nichts auf Zufall. Erst jetzt wurde sie dessen gewahr, was vor der Stahltür, an der sie ihre Fäuste ramponiert hatte, auf dem Boden lag, und sie verharrte regungslos, als fürchtete sie, es könne sich um ein Trugbild handeln, das augenblicklich verschwinden würde, sobald sie sich bewegte. Warum?, überlegte sie, warum auf einmal Licht und etwas zu essen, das nicht verdorben war, etwas zu trinken, das sie nicht verschütten würde? Warum ein Pullover, den sie bei laufender Heizung nicht unbedingt brauchte, und warum Waschzeug? Nun, Letzteres war nicht schwer zu beantworten, sie merkte, dass sie roch, als wäre sie schon wochenlang hier drinnen. War sie? Sie verbot sich, dem Gedanken nachzuhängen, schnappte sich Handtuch und Seife und ging ins Bad.
    Bad war übertrieben. Die gleiche vergitterte

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