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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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Aussage war. »Aber er ist doch ein enger Freund, wenn man bedenkt, dass die beiden sogar zusammen in Urlaub fahren. Trotzdem kennen Sie ihn nicht besser?«
    »Nein«, sie hob die Hände, wie um sich zu entschuldigen, »diese Art Urlaub ist zu anstrengend für mich.«
    »Ach ja, ich habe davon gehört, Sie hatten einen Unfall.« Er gab sich Mühe, beiläufig zu klingen. »Was ist denn passiert?«
    »Ich bin die Kellertreppe runtergefallen, beim Hochlaufen, stellen Sie sich das vor. So etwas Dummes kann auch nur mir passieren. Das Licht war ausgegangen, und ich hatte ganz vergessen, dass ich auf einer der Stufen ein paar Marmeladengläser abgestellt hatte. Sind alle kaputtgegangen. Die Sanitäter haben mich erst für tot gehalten, weil sie dachten, das wäre alles Blut, dabei war das Marmelade, und ich war nur ohnmächtig.«
    Ihre Wangen röteten sich leicht, aber das mochte von der Kälte rühren.
    »Na ja, und mein Bein eben«, fuhr sie fort. »Es war ein komplizierter Bruch und ist nicht richtig geheilt. Man merkt es kaum noch, nur wenn ich mich anstrenge, dann …« Sie ließ offen, was sie hatte sagen wollen, zog ihren Mantel enger um sich und verschränkte die Arme. »Ganz schön kalt, nicht?«
    Nein, er würde kein Gespräch übers Wetter führen, das überließ er denen da drinnen, sofern er Marilenes Ausführungen über das Anforderungsprofil glaubte. »Der Unfall, ist das schon lange her?«, erkundigte er sich möglichst harmlos.
    »Drei Jahre? Vier?« Sie zog die Stirn in Konzentrationsfalten. »Die Zeit vergeht so schnell, dass ich manchmal das Gefühl habe, sie einfach zu verlieren. So, wie man etwas verlegt, wissen Sie? Man kann sich nicht daran erinnern, wo man es hingetan hat, und es ist und bleibt weg.«
    »Na ja«, brummte er. Er verlegte Dinge, das schon, aber er fand sie auch wieder, meistens, die Zeit konnte man bestenfalls vertrödeln. So, wie eben jetzt, fand er. Sie war einfach schräg drauf, das war alles. Es gab keinen Grund, da mehr hineinzuinterpretieren. »Ich muss dann mal los«, sagte er.
    »Ja dann«, sie wandte sich schon zum Gehen und drehte sich doch noch einmal nach ihm um. »Ach übrigens, vergessen Sie nicht, Ihr Rezept abzuholen.«
    »Mach ich«, murmelte Hartmann überrascht und blickte ihr nach. Sie beeilte sich jetzt, und von einem Hinken war absolut nichts zu sehen, lief leichtfüßig die Treppe zum Laden hinauf, dass ihr Haar hinter ihr herwehte, schimmernd, wie von einem verirrten Sonnenstrahl. Du spinnst, schalt er sich und rieb sich die Augen. Die Sonne scheint  nicht . Er stieg in seinen Wagen. Es wurde Zeit, dass er seine Gedanken auf ganz reale Dinge richtete – er gab Gas, nur um augenblicklich scharf zu bremsen –, wie zum Beispiel auf den Verkehr. Mann, das war echt knapp gewesen. Und er hätte keine Chance gehabt. Schon wieder so ein Geländewagen, die Dinger nahmen überhand. Diesmal warf er den obligatorischen Blick in den Seitenspiegel, bevor er ausscherte und sich in den überraschend dichten Verkehr einreihte.
    Der Rückstau an der mittleren der gerade mal drei Ampeln, die den Durchgangsverkehr hier regelten, war beträchtlich, und er trommelte ungeduldig mit den Händen aufs Lenkrad. Er wurde das Gefühl nicht los, dass auch dies Teil eines Plans war.
    Er hielt Frau Gentners Begründung, dass das Telefon in der Buchhandlung zwei Stunden lang besetzt gewesen war, für unwahrscheinlich. Zum anderen fragte er sich, warum eine Frau, die nach eigenem Bekunden selten das Haus verließ, dies für eine simple Buchbestellung tun sollte. Dass Gentner den Anruf delegierte, ja, aber warum hatte er sie hinbeordert? War er etwa gar nicht auswärts und hatte aus einem unerfindlichen Grund dieses Treffen beobachten wollen? Ein zufälliges Treffen, denn er hätte ja längst weg sein können. Es ergab einfach keinen Sinn, trotzdem wurde er dieses merkwürdige Unbehagen nicht los. Mehrstimmiges Hupen riss ihn aus seinen Überlegungen. »Gib Ruhe«, schimpfte er und fuhr an.
    Schmutzige Schneewälle türmten sich zu beiden Seiten der schmalen Straße, aber die Fahrbahn selbst war geräumt, und sobald er die Ortsgrenze passiert hatte, offenbarte sich das Ausmaß des neuerlichen Wintereinbruchs, etwas, wofür er heute Morgen noch keinen Blick gehabt hatte. Eine dicke Schneeschicht glättete den Boden, verbarg, was sich darunter befinden mochte, Felder, Wiesen, einerlei, vereinzelt stachen knorrige Obstbäume in den grauen Himmel, pechschwarz glänzend trugen sie wattige

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