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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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ihnen zu folgen, wenn sie Dienstschluss hatten, und die Tatsache, dass sie zu Fuß unterwegs waren, machte sie zu leicht zugänglichen Opfern, zumal alle in der dunklen Jahreszeit verschwanden.«
    »Das ist mir gar nicht aufgefallen, aber du hast recht«, stimmte Hartmann zu. »Und es lässt sich ja nicht einmal ausschließen, dass sie freiwillig in sein Auto gestiegen sind. Bloß ein Motiv fällt mir dazu nicht ein.«
    »Ich fürchte, da wirst du versuchen müssen, die ärztliche Schweigepflicht diverser Psychologen zu knacken.«
    Hartmann stöhnte und stand auf. »Sei froh, dass du den Fall nicht mehr an der Backe hast«, sagte er, »zumal mir  mein  Bauch sagt, dass diese Verschiebung total ungerechtfertigt ist.«
    »Vielleicht nicht ganz«, widersprach Groen, nahm eine weitere Akte in die Hand und wedelte damit in der Luft herum, bis Hartmann widerwillig danach griff. »Sophie Rehberg war Studentin der Kunsthochschule Kassel und jobbte nebenher an einer Autobahnraststätte in der Gegend.«
    »Kassel?!«, entfuhr es Hartmann.
    »Warte«, beschwichtigte Groen ihn. »Sie verschwand nach ihrer Spätschicht im November vor einem Jahr, im Januar drauf wurde ihre Leiche gefunden, sie hing an einem Baum im Wald in der Nähe von Heftrich, und zwar maximal zwei Tage lang.«
    »Selbstmord. Sie ist zu ihrem Macker gezogen, die Beziehung ging schief, und sie kam damit nicht klar.« Hartmann deutete eine Schlinge an.
    »Selbstmord steht auch durchaus auf dem Totenschein«, fuhr Groen fort, »aber ein ›Macker‹ hat sich nicht gemeldet. Also wo war sie sieben Wochen lang? Ihr Fahrrad hatte man übrigens mit aufgeschlitzten Reifen an der Tankstelle vorgefunden, und das deutet doch schon auf eine Entführung hin, nicht?«
    »Du nervst.« Hartmann stand noch immer aufbruchbereit an der Tür. »Warum sollte sich unser Täter ein Opfer aus Kassel besorgen? Das ist doch ein völlig unnötiges Risiko.«
    »Findest du? Ihr Fahrrad ist kaputt, er bietet ihr an, sie heimzufahren oder auch nur, in seinem Wagen zu warten, bis jemand sie abholen kann, dann betäubt er sie und bringt sie was weiß ich wohin. Sollte er in eine Kontrolle geraten, gibt er vor, der Vater seiner betrunkenen Tochter zu sein, oder der große Bruder.«
    »Warum aber«, Hartmann wollte nicht lockerlassen, »hat er ihre Leiche dann nicht verschwinden lassen, anstatt eine Fährte in diese Gegend zu legen? Gott, er hätte sie ja sogar zurückbringen können, kein Mensch wäre darauf gekommen, dass sie je woanders war.«
    »Mit einer Leiche so weit zu fahren stellt ein gewisses Risiko dar«, entgegnete Groen trocken. »Nein, ich glaube, sie hat sich tatsächlich umgebracht, also gab es keinen Grund, ihre Leiche verschwinden zu lassen, solange sie nicht dort gefunden würde, wo sie bis dato gewesen war. Im Gegenteil, ein ziemlich offensichtlicher Selbstmord wirft weniger Fragen auf als eine vergrabene Leiche, die unweigerlich irgendwann von einem Hund ausbuddelt worden wäre. In der Akte ist ein kurzer Vermerk, leicht zu übersehen, dass der Baumabrieb nicht sehr ausgeprägt war. Da man aber sonst keine Spuren von Fremdeinwirkung gefunden, womöglich nicht einmal gesucht hat, ist man der Sache nicht weiter nachgegangen.«
    »Obduktion fand also nicht statt?«, fragte Hartmann.
    Groen winkte ab. »Selbstmord war plausibel.«
    »Trotzdem finde ich den ›Macker‹ viel wahrscheinlicher, er hat Schuldgefühle und sich deshalb nicht gemeldet, das ist alles.«
    »Wunschdenken«, widersprach Groen. »Du wirst den Fall nicht los, da kannst du dich auf den Kopf stellen.«
    Das, dachte Hartmann, gehört nicht zu meinen bevorzugten Übungen. Er klaubte die Unterlagen zusammen und verabschiedete sich.
    ***
    Das Wort Trabantenstadt rief genau das Bild im Kopf hervor, mit dem Paul Zinkel sich gerade konfrontiert sah. Er stand in Taunusstein-Hahn vor einem der zahlreichen Hochhäuser, in denen auf engstem Raum zu viele Menschen lebten, die sich die exorbitanten Wohnungspreise im Rhein-Main-Gebiet nicht leisten konnten. Dabei war diese Anlage noch gepflegt, und im Sommer, wenn die jetzt kahlen Baumgerippe ihr Laub zur Schau trügen, mochte der Eindruck ein etwas anderer sein. Aber allein diese Alkoven-Balkone, die Privatheit vortäuschten, wo es keine gab, außer man verzichtete auf jegliches Gespräch und stopfte sich Stöpsel ins Ohr. Zinkel blickte auf propere, zur Seite geraffte Rüschengardinen aus einem anderen Zeitalter und drückte ungeduldig zum zweiten Mal auf den

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