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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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hat er, ich bin mir sicher, ich habe mich nicht getraut, hinzusehen, aber er hat gelacht, und es klang nicht freundlich, und dann stand ich endlich am Bahnsteig, und der Zug war schon angekündigt, da spüre ich auf einmal einen warmen Hauch im Nacken und höre wieder dieses Lachen, da bin ich weggelaufen, ich wollte meinen Mann anrufen, damit er mich abholt, aber dann ist mir eingefallen, dass er nicht da war, und dann bin ich in die nächste Gaststätte gelaufen.«
    Sie schnappte nach Luft, als wäre sie soeben dort angekommen. »Ich wollte erst die Polizei anrufen«, fuhr sie fort, »aber auf einmal bin ich mir total blöd vorgekommen. Was sollte ich sagen? Mir ist einer gefolgt? Zum Bahnhof? Also echt, da gehen viele hin, das muss nichts mit Verfolgung zu tun haben. Das Lachen? Ist kein Verbrechen. Ich habe mir eingeredet, dass ich mir das alles bloß eingebildet habe und mir was zu trinken bestellt, ich wollte den nächsten Zug nehmen …« Sie ließ den Satz verklingen.
    »Ja?«, forderte Hartmann sie wieder auf, weiterzusprechen.
    Sie schlug die Hände vors Gesicht. »Ich weiß nicht, was passiert ist«, erklärte sie. »Mir fehlen acht Wochen meines Lebens, und ich hatte mich damit abgefunden, ich konnte damit umgehen.« Sie nahm die Hände herunter, und aus dem Blick, mit dem sie ihn fixierte, sprach blanke Wut. »Und jetzt kommen Sie und rühren alles wieder auf. Ich will nicht daran denken. Die Träume sind schlimm genug, es ist dunkel, und ich denke, wenn ich nur die Augen öffne, kann ich wieder was sehen, aber es funktioniert nicht, verstehen Sie? Ich kann nichts sehen, weil es einfach nur dunkel ist, absolut dunkel, und da ist eine Stimme, aber ich kann sie nicht verstehen, ich weiß nicht, woher sie kommt und was sie mir sagt!«, schrie sie, während ihr Tränen übers Gesicht strömten.
    Hartmann hob beschwichtigend beide Hände und traute sich nicht, auch nur ein Wort zu sagen. Schuch war ganz blass geworden und schien selbst gegen die Tränen anzukämpfen. Er begann, seiner Frau die Schultern zu streicheln, seine Bewegungen wirkten abgehackt und fahrig, doch seine Nähe beruhigte sie allmählich.
    »Und dann wache ich auf«, flüsterte sie jetzt, »und sage mir, dass das nur ein Traum war. Manchmal kann ich mir sogar glauben. Und jetzt möchte ich mich hinlegen.«
    Hartmann nickte und beobachtete, wie Schuch seiner Frau aufhalf und sie, leise murmelnd, aus dem Raum führte. Er stand auf, öffnete die Tür zum Balkon und trat hinaus. Die Kälte ließ seinen Atem wie Rauschwaden erscheinen, Vernebelungstaktik, versuchte er, seiner Beklommenheit durch Sarkasmus Herr zu werden.
    Er blickte auf die Straße hinunter. Ein paar späte Kunden schleppten ihre Beute in prallen Tüten nach Hause, und einige frühe Nachtschwärmer flanierten gemächlich durch die Straßen der Altstadt. Der erleuchtete Dom verlieh der Szenerie etwas Heimeliges, ein Eindruck, dem er im Moment vollkommen misstraute.
    ***
    Patrizia stand frierend am unbewegt vor sich hin starrenden Gutenberg auf dem Forum der Mainzer Uni. Sie reckte – das verabredete Erkennungsmerkmal, sie hatte sich nicht überwinden können, auf ihre Narbe hinzuweisen – den geschlossenen Regenschirm in die Höhe und hatte sich mehr als eine dämliche Bemerkung dazu anhören müssen. Sie wechselte wiederum die Hand, ihre Finger waren bereits blau vor Kälte, die Handschuhe hatte sie im Auto vergessen, aber mittlerweile kam ihr das Innere ihrer Manteltasche ebenso eisig vor wie die Luft.
    »Frau Heyder?«
    Sie fuhr herum und sah, wie sich der Mund des jungen Mannes zu einem stummen »O« formte. Wie immer, wenn jemand nicht auf ihr Gesicht vorbereitet war. »Ja«, sagte sie gedehnt.
    »Klaus Gentner.« Er fing sich und streckte ihr lächelnd die Hand entgegen. »Der Schal hätte es auch getan.«
    »Wie?« Sie ergriff seine Hand und hätte am liebsten nicht mehr losgelassen, allein wegen der Wärme. »Ach so, Sie meinen die Farbe.«
    Gentner nickte. »Hier, ich leihe Ihnen einen Handschuh. Ich dachte, wir gehen ins Baron, das ist gleich hier auf dem Campus.«
    »Wenn sie nur geheizt haben, ist mir alles recht.« Sie streifte dankbar den Handschuh über ihre steifen Finger, umfasste den Regenschirm wie einen Spazierstock und stopfte die geballte linke Hand in ihre Tasche. Gentner schien nach ihrem Arm greifen zu wollen, Gott, dachte sie, wie alt sehe ich aus?, unterließ es aber, als er ihren entgeisterten Blick bemerkte. Sie liefen schweigend, und sie hatte

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