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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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nach dem beinahe vergeblichen Sprint zwischen all diesen verkleideten und zum Teil bereits jetzt alkoholisierten Karnevalisten hindurch niederzuringen.
    Er zog sein Ticket aus der Manteltasche, Wagen 3, las er, und taumelte vorwärts auf der Suche nach seinem Platz. Immer wieder musste er sich dünne machen, wenn Gegenverkehr aufkam, zu viel Nähe, fand er, und wünschte, er wäre mit dem Auto gefahren, Wetter hin oder her. Endlich erreichte er den richtigen Waggon, fand seinen Platz in Fahrtrichtung an einem Vierertisch jedoch besetzt vor. Anzugträger mit aufgeklapptem Aktenkoffer und Handy am Ohr. Jedes Mütterlein hätte Zinkel sitzen lassen, hier aber zückte er abermals sein Ticket und wedelte damit vor den Augen des anderen herum. »Nix wie weg«, knurrte er und registrierte befriedigt, wie der Typ hektisch sein Zeug einsammelte und wortlos den Gang hinunterflitzte, bevor er sein Gepäck verstaute, den Mantel auszog und sich ermattet auf den Sitz am Fenster sinken ließ.
    Ein weiterer grauer Tag kämpfte sich ans Licht, das diese Bezeichnung nicht verdiente, der Himmel verschwamm mit ebenso grauen, nassglänzenden Häuserschluchten, schmutzige Schneeberge türmten sich an den Straßenrändern, und Fahrzeuge, denen man allesamt den langen Winter ansah, verloren kampflos das Rennen gegen den schneller werdenden Zug. Zinkel drohten die Augen zuzufallen, doch diesmal gab er der bleiernen Müdigkeit, dem einschläfernden Rattern nicht nach. Er öffnete seine Aktentasche und holte sein Notizbuch und die Akte Inka Morgenroth hervor, um noch einmal zu lesen, was er längst im Kopf hatte, um nach einem Zusammenhang zwischen den Fällen zu suchen, dessen Existenz er noch immer für ziemlich abwegig hielt, ungeachtet des sich abzeichnenden Musters. Hartmann jedoch beharrte eisern darauf – Gentners Frau schien den Gedanken zu befeuern.
    Zinkel musste zugeben, dass sie kaum Hinweise hatten, die in eine andere, konkretere Richtung deuteten. Vor allem seit sich herausgestellt hatte, dass Birgit Kainz nicht Teil der Serie war und Martens somit aller Wahrscheinlichkeit nach nicht als Täter in Frage kam. Sie hatten schlechthin herzlich wenig in der Hand. Nur darum hatte er nachgeben, als Hartmann ihn nach Ostfriesland geschickt hatte.
    Ostfriesland. Er war noch nie nördlicher als Düsseldorf gewesen, und auch das nur zu einem Kurzbesuch bei einem ehemaligen Schulfreund. Im Urlaub fuhr er, wenn überhaupt, in den Süden. Die gelegentliche Städtereise, Rom, Paris, Madrid, reichte ihm als Abwechslung. Er warf einen Blick nach draußen. Das Land wurde flacher, war dünner besiedelt, winterlich brachliegende Agrarflächen. Nicht viel zu sehen.
    Er schlug eine neue Seite in seinem Notizbuch auf und begann zu schreiben. Hypothese. Constanze Gentner, Hausfrau. Claudia Schuch, Angestellte. Sophie Rehberg, Kunststudentin und Kassiererin. Inka Morgenroth, leitende Angestellte. Franziska Eising, Buchhändlerin. Gehörte Frau Gentner wirklich in diese Reihe? Wenn ja, dann war das der älteste der Fälle, vielleicht der auslösende. Dann steckte Gentner dahinter. Aber worum ging es überhaupt? Diese Frauen hatten absolut nichts gemeinsam, abgesehen von dem, was sie erlebt hatten. Sie waren acht Wochen lang verschwunden gewesen, waren desorientiert wieder aufgetaucht, was darauf schließen ließ, dass Drogen im Spiel gewesen waren. Ansonsten waren sie unversehrt, so weit Groen das hatte ermitteln können. Vergewaltigung jedenfalls hatten sie vehement bestritten. Eine von ihnen hatte sich umgebracht. Was konnte so schlimm sein, dass man sich umbrachte, wenn es Vergewaltigung nicht war?
    So kam er nicht weiter. Sie mussten am Ausgangspunkt beginnen, mit der Entführung, nicht mit dem Motiv. Ein Mann, der seine eigene Frau entführt? Entführen lässt? Kam hier Petersen ins Spiel, der vielleicht nicht Gentner, sondern sich selbst ein so fragwürdiges Alibi verschafft hatte? Er klappte frustriert das Notizbuch zu. Es war einfach zu früh, um Arbeitshypothesen aufzustellen, es fehlten Fakten, die das Ganze untermauerten. Vielleicht hatte er ja Glück, und Inka Morgenroth konnte das Dunkel erhellen.
    Der Zug hielt. Papenburg. Den Namen hatte er schon mal gehört, ja, jetzt fiel es ihm wieder ein, in der Tagesschau hatte er im letzten Sommer einen Bericht gesehen, Meyer Werft, die mit den großen Pötten, die nach Fertigstellung die Ems passieren mussten, die reinsten Hochhäuser, die über Land zu rollen schienen, ein irres Spektakel und

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