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Spur nach Ostfriesland

Spur nach Ostfriesland

Titel: Spur nach Ostfriesland Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Beate Sommer
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konnte Zinkel gerade noch ausmachen.
    »Nein. Ja, vielleicht.«
    »Hier, die müssten helfen.«
    »Danke.«
    Schweigen, lange und leicht durchschaubar – das Warten, bis der andere die Stille durchbricht, eine Masche, die nicht nur Psychologen beherrschten. Es wirkte.
    »Ich habe Angst, einen Fehler zu machen. Und ich will bei diesem Projekt nicht den Sündenbock abgeben.«
    Mobbing am Arbeitsplatz, dachte Zinkel, absolut unverdächtig. Er wollte sich eben zum Gehen wenden, als es plötzlich heller wurde. Oben, am Balkon, zog jemand die Jalousie hoch, und sicher nicht, um ihm den Weg zu weisen. Er schaute zurück, die Strecke war unmöglich zu schaffen, ohne gesehen zu werden, und so schlich er weiter bis unter den Vorsprung, stieß schmerzhaft und nicht geräuschlos gegen den Gartentisch, der unter seiner Schneehaube der nächsten Saison harrte.
    Er hörte, wie über ihm die Tür geöffnet wurde, und drückte sich mit dem Rücken gegen die Wand. Ein Feuerzeug ratschte. Rauch schnell, es ist zu kalt, flehte er innerlich. Sein Blick fiel auf seine überdeutlichen Fußspuren. Die nur in diese Richtung wiesen. Und nicht an der anderen Seite wieder aufgenommen wurden. Wenn er oder sie sich herunterbeugte …
    Das Licht hinter dem Panoramafenster erlosch. Scheiße, das war zu schnell für eine Sitzung. Was nun? Das kleinere Übel, entschied er blitzschnell, wandte sich nach rechts und lief an der Wand entlang bis zur Hausecke, den Kopf eingezogen, als würde ihn das vor Entdeckung schützen, doch kein Ruf gellte, nichts passierte. Er stürzte um die Ecke, drückte sich wiederum an die Hauswand und wartete, bereit, jederzeit loszusprinten.
    Die Praxistür wurde geöffnet.
    »Fahr zu ihr«, vernahm er Lindenaus Stimme, »du kriegst das schon hin. Wenn was ist, melde dich bei mir. Aber du wirst sehen, das ist ganz einfach. Und alles andere verläuft sehr schnell im Sande, versprochen«.
    »Gut, ich verlass mich darauf«, sagte Petersen.
    Zinkel hörte, wie Petersen die Trittplatten entlangging, wie nach einem Augenblick die Praxistür geschlossen und von innen verriegelt wurde. Er stieß den Atem aus, den er unbewusst angehalten hatte, und begann zu zählen. Zwei Minuten? Bis dahin wäre Petersen sicherlich verschwunden. Bei dreißig kam ihm der Gedanke, dass es unethisch sein könnte, einen Bekannten zu therapieren. Bei fünfundsechzig fragte er sich, was Lindenau mit »wenn was ist« gemeint haben könnte. Bei neunzig flog funkensprühend die Kippe direkt an seinem Ohr vorbei und verlosch zischend im Schnee.
    ***
    »Dein Zuhause ist ein Ort voller Frieden, Ordnung und Behaglichkeit, wo dein Mann Körper und Geist erfrischen kann.« Sie versuchte, die Stimme auszublenden, so wie sie den im Rhein-Main-Gebiet allgegenwärtigen Fluglärm zu verdrängen gelernt hatte, längst nicht mehr wahrnahm, was auswärtige Gäste stets als unerträglich beklagten, aber es wollte ihr nicht gelingen. Es gab nichts, was sie ablenken konnte.
    Ihr war so langweilig. Ein Gefühl, das sie seit ihrer Kindheit nicht mehr empfunden hatte, öde Sonntagnachmittage, die durch keinerlei Pflichten Struktur erhielten, sofern sie ihre Hausaufgaben bereits am Freitag erledigt hatte. Besuche bei Freundinnen waren tabu – doch nicht am Sonntag, Familien durfte man keinesfalls stören. Das schien allenthalben gegolten zu haben, denn nie hatte es am Sonntag geklingelt. Die ersehnte Erlösung von erzwungener Gemeinsamkeit, Brettspielen etwa, oder schleppenden Gesprächen, die bestenfalls durch Fernsehen abgelöst wurden, war stets ausgeblieben. Lesen war damals noch keine selbstverständliche Alternative gewesen. So hatte sie oft stundenlang auf ihrem Bett gelegen, Musik gehört und die Decke angestarrt, war hin und wieder weggedämmert, unfähig, sich für irgendeine Aktivität zu entscheiden, und war froh gewesen, wenn wieder Montag war und sie etwas zu tun hatte.
    Jetzt war immer Sonntag. Sie versuchte, diesem Gedanken einen fröhlicheren Klang zu geben, aber auch das schaffte sie nicht. Abhängen war etwas anderes, bedurfte der Freiwilligkeit und einer gemütlichen Umgebung, ein Tässchen Tee gehörte dazu, Kerzenlicht und ein Buch. Nicht diese unpersönliche Stimme, die einen so altertümlichen Schrott absonderte, stunden- oder tagelang, was wusste sie schon, derselbe schwachsinnige Satz. Da waren ihr Dunkelheit und Stille fast lieber gewesen, zumal sie nahezu ständig geschlafen hatte.
    Jetzt war es immer hell. Wie lange konnte man an die Decke

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