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Spuren des Todes (German Edition)

Spuren des Todes (German Edition)

Titel: Spuren des Todes (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Judith O'Higgins , Fred Sellin
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drei Stunden früher oder später sein können, ohne dass es anhand der Helligkeit aufgefallen wäre. Es war einer dieser typischen Herbsttage, die sich in Hamburg jedes Jahr verlässlich einstellten, grau und trist, von Sonnenstrahlen nicht die geringste Spur.
    Allerdings korrigierte der Polizist, der uns ins Schlafzimmer geführt hatte, meinen ersten Eindruck: Seine Kollegen von der Spurensicherung, die seit Stunden in der Wohnung zugange waren, hatten im Bereich des Tatorts doch etwas in die Hände genommen und sogar weggeschafft. Neben dem Bett, auf der Seite, wo die Tote lag, hatte eine ungewöhnlich große Flasche gestanden, gut neun Kilo schwer, sechs Liter Inhalt – Rotwein, noch ungeöffnet. Da sie die Weinflasche nach einem Blick auf die Kopfwunde als mögliche Tatwaffe in Betracht zogen, hatten sie sie vorsichtshalber gleich sichergestellt, um ihr Glas auf Fingerabdrücke und Blutspuren untersuchen zu lassen. Immerhin befand sie sich noch in der Wohnung, im Zimmer nebenan, was uns die Gelegenheit gab, einen Blick darauf zu werfen.
    Nicht gerade handlich, dachte ich. Kam solch ein Monstrum tatsächlich als Tatwaffe in Frage? Und: Passten Art und Größe der Kopfverletzung überhaupt dazu?
     
    Sich als Rechtsmediziner selbst einen Eindruck vom Tatort beziehungsweise vom Fundort einer Leiche zu verschaffen, halte ich wie gesagt für enorm wichtig. In Fernsehkrimis ist das gang und gäbe, dort sieht man es allenthalben, in der Realität leider nicht. Da stellt es sogar eher die Ausnahme dar. Die Gründe dafür sind so unterschiedlich wie jeder einzelne Fall. Ein Grund besteht darin, dass sich das Rettungswesen in den letzten Jahren enorm weiterentwickelt hat. Trotz schwerster Verletzungen können viele Opfer von Gewaltverbrechen am Leben erhalten oder reanimiert werden. Im schlechtesten Fall nur für eine kurze Zeit, aber auch das hat zur Folge, dass sie schnellstmöglich vom Tatort entfernt und zur Weiterbehandlung in ein Krankenhaus gebracht werden.
    Trotzdem würde es auch dann für uns Sinn ergeben, sich vor Ort umzuschauen, erst recht, wenn dort Blut- oder auch andere Spuren vorhanden sind, die Rückschlüsse auf das Tatgeschehen zulassen. Gerade Blutanhaftungen können eine Menge darüber verraten, wie sich eine Gewalttat zugetragen hat. Man muss sie nur richtig zu interpretieren verstehen. Stichwort Blutspurenanalyse: Fallhöhe, Auftreffwinkel, Form, Größe, Anzahl und Anordnung der Bluttropfen – damit lassen sich sogar komplexe Tatabläufe rekapitulieren. Wo befand sich das Opfer, als es attackiert wurde? Stand es, lag es oder kniete es vor dem Täter? Hatte der nur einmal mit dem Messer zugestochen, mindestens zweimal oder noch öfter? Von oben, von unten, von der Seite? Wenn von der Seite – von welcher und aus welchem Winkel? Verletzte er bei seinem Angriff eine Vene oder eine Arterie? War die Tatwaffe womöglich gar kein Messer, sondern ein Hammer oder ein ähnliches Schlagwerkzeug? Fanden sich typische Schlagspritzspuren? Dann musste der Täter mindestens zweimal auf die gleiche Stelle geschlagen haben, denn solche Spritzspuren entstehen frühestens ab dem zweiten Schlag. Blutspuren können selbst Aufschluss darüber geben, ob sich das Opfer nach der Tat selbst noch bewegte oder nicht mehr dazu in der Lage war, aber von jemand anderen bewegt wurde.
    Wäre Letzteres bei der Frau im Bett der Fall gewesen, hätte man das an den Blutabrinnspuren an ihrem Kopf erkennen können. Diese wären dann vermutlich nicht nur in eine Richtung verlaufen, sondern hätten eine Art Knick aufgewiesen. Dass es diesen Knick nicht gab, sprach dafür, dass die Frau, als ihr die Wunde zugefügt wurde, genauso dagelegen haben musste, wie man sie später fand. Es sei denn, man hätte sie erst in diese Position gebracht, nachdem das Blut angetrocknet war. Doch auch das wäre uns vermutlich aufgefallen. Abrinnspuren verlaufen üblicherweise der Schwerkraft folgend, also nach unten. Hätte man das Opfer nachträglich anders hingelegt und damit auch die Lage des Kopfes verändert, wäre das Spurenbild nicht mehr stimmig gewesen.
    Ein anderer Aspekt, der verhindert, dass Rechtsmediziner häufiger zu einem Tatort gerufen werden, ist sicher die Kostenfrage. Die Vorstellung, dass ausgerechnet an dieser Stelle gespart wird, lässt einen nicht unbedingt ruhiger schlafen, aber so ist es nun mal: Jede Art von Ermittlungsarbeit hat auch eine ökonomische Komponente. Soweit es diesen speziellen Punkt betrifft, geht man in den

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