Spuren des Todes (German Edition)
Mike Perlott verbrachte. Und selbst nachdem sie die räumliche Trennung vollzogen hatte, schien sie sich im Unklaren darüber zu sein, ob sie wirklich ohne ihn leben wollte. Einerseits wandte sie sich recht bald einem anderen Mann zu, der ihr seit längerem den Hof machte. Andererseits hörte sie nicht auf, sich auch mit Mike Perlott zu verabreden. Sie übernachtete sogar bei ihm, in demselben Bett, das sie jahrelang miteinander geteilt hatten. Dabei tauschten sie Zärtlichkeiten aus und versicherten sich gegenseitig, den anderen noch immer zu lieben. Einzig seinen Wunsch, mit ihr Sex zu haben, lehnte sie ab.
Diese Achterbahn der Gefühle, sie mache ihn fertig, soll Mike Perlott seinen Freunden geklagt haben, nicht nur einmal. Sowieso gab es nur noch ein Gesprächsthema für ihn: sein Liebesleid. Und wenn mal niemand da war, dem er sein Herz ausschütten konnte, hockte er zu Hause und ertränkte sein Selbstmitleid in Wein und Bier. Es muss für ihn wie ein Strudel gewesen sein, der ihn jeden Tag ein Stück tiefer nach unten riss. Er ging nicht mehr zur Arbeit, ließ sich krankschreiben; später kündigte er seinen Job, lebte vom Ersparten – und immer wieder wohl auch von der Hoffnung, Christiane Wellbrinck könnte es sich anders überlegen und zu ihm zurückkehren. Dann würde alles wieder gut.
Diese Hoffnung starb nicht einmal in dem Moment, als sie ihm offenbarte, wie schön der Sex mit dem anderen Mann sei. Als hätte Perlott die Fähigkeit besessen, bestimmte Informationen zwar wahrzunehmen, diese im nächsten Atemzug aber gleich wieder auszublenden, so gründlich, als wären sie niemals bis zu ihm gedrungen. Umgekehrt schrieb er jeder noch so kleinen Geste, die sie ihm an Zuneigung entgegenbrachte, eine völlig überzogene Bedeutung zu.
Dann kam der Tag, an dem man hätte ahnen können, dass die Sache kein gutes Ende nimmt. Bei einem Telefonat, in dem Christiane Wellbrinck ihm wieder einmal vor Augen führte, dass es da einen anderen Mann gab, attackierte er sie mit unflätigen Bemerkungen und warf dann das Telefon vor lauter Wut an die Wand, dass es krachend in Stücke brach. Anschließend schluckte er einige Schlaftabletten und legte sich ins Bett. Christiane Wellbrinck, die seine depressive Neigung kannte, fürchtete, er könnte sich etwas antun. Sie versuchte, ihn auf dem Handy zu erreichen. Nach einer Weile ging er ran und jammerte, es habe alles keinen Sinn mehr, er werde sich umbringen.
Tatsächlich setzte er sich an seinen Computer und verfasste einen Abschiedsbrief. Später kam heraus, dass er einige Tage davor bereits einen Ordner mit dem Titel » TOD « angelegt und mehrere Abschiedsbriefe entworfen hatte – unter anderem für seine Eltern, für seinen früheren Chef und für einen Freund.
Da Christiane Wellbrinck an diesem Tag gerade ihre Großmutter besuchte, die außerhalb von Hamburg in einem Altenheim lebte, rief sie sofort eine Freundin an und bat sie, so schnell es geht bei Perlott vorbeizuschauen. Dann setzte sie sich selbst ins Auto und fuhr auf kürzestem Weg zu dessen Wohnung. Sie wählte immer wieder seine Nummer, jetzt aber vergeblich, und zu Hause öffnete er auch nicht die Tür. Aus Angst, er könnte seine Ankündigung wahrgemacht haben, verständigte sie die Polizei, die Gefahr in Verzug sah und die Wohnungstür aufbrechen ließ.
Perlott hätte die Tür gar nicht öffnen können, jedenfalls nicht von innen. Er hatte sich in der Zwischenzeit in sein Auto verkrochen, das auf einem Parkplatz unweit der Wohnung stand. Dort fanden sie ihn schließlich. Durch die Tabletten, die er mit Bier hinuntergespült hatte, war er ziemlich neben der Spur. Er wirkte apathisch, schwebte aber nicht in Lebensgefahr, dafür war die Dosis zu gering gewesen. Die Polizisten brachten ihn trotzdem in ein Krankenhaus, sicherheitshalber.
So halbherzig sein Suizidversuch gewesen sein mag, Christiane Wellbrinck soll die Vorstellung, dass er es doch ernst gemeint haben könnte, schwer belastet haben. Trotz der Trennung schien sie sich weiterhin für ihn verantwortlich zu fühlen. Vielleicht war sie, was ihre Gefühle anbetraf, mit sich selbst nicht im Reinen. Man hätte meinen können, sie liebte ihn noch.
Anders lässt sich kaum erklären, dass sie nach diesem Zwischenfall sogar eine Paartherapie mit ihm anfing. In der Zeit gab es Phasen, in denen sie Mike Perlott beinahe täglich traf. Selbst wenn er sie manchmal nachts aus dem Schlaf klingelte und wütend beschimpfte, weil sie es nicht bleiben ließ,
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